Arm und Reich
amerikanischen Doppelkontinents von Norden nach Süden, Eurasiens dagegen von Osten nach Westen (Abbildung 9.1). Bewegt man sich entlang einer Nord-Süd-Achse vorwärts, durchquert man Zonen, in denen sehr unterschiedliche Temperaturen und Niederschlagsmengen auftreten, in denen die Tageslängen variieren und unterschiedliche Tier- und Pflanzenkrankheiten vorkommen. Es war deshalb sehr schwierig, die in einem Teil Afrikas domestizierten Pflanzen und Tiere in einen anderen Teil mitzunehmen und dort heimisch zu machen. Im Vergleich dazu war der Austausch von Kulturgewächsen und Haustieren in Eurasien ohne größere Probleme zwischen Gesellschaften möglich, die Tausende von Kilometern voneinander entfernt, jedoch auf gleicher geographischer Breite lagen und ähnliche klimatische Verhältnisse und Tageslängen aufwiesen.
Die langsame (wenn überhaupt) Ausbreitung von Anbaupflanzen und Vieh entlang der afrikanischen Nord-Süd-Achse hatte schwerwiegende Folgen. So verlangten die mediterranen Gewächse, die in Ägypten zu den wichtigsten Anbaupflanzen wurden, Niederschläge im Winter und Tageslängen, die im Rhythmus der Jahreszeiten schwankten – oder sie keimten nicht. Sie konnten sich deshalb nicht weiter südlich als bis in den Sudan ausbreiten, wo eine Zone beginnt, in der es im Sommer regnet und die Tageslänge im Laufe des Jahres beinahe konstant ist. Weizen und Gerste aus Ägypten fanden den Weg zum Kap der Guten Hoffnung mit seinem mediterranen Klima erst, als sie von europäischen Kolonisten im Jahr 1652 per Schiff dorthin gebracht wurden, so daß aus den Khoisan nie Bauern werden konnten. Ähnlich gelangten die an Sommerregen und geringe oder gar keine jahreszeitlichen Schwankungen der Tageslänge angepaßten Kulturpflanzen der Sahelzone zwar mit den Bantus ins südliche Afrika, konnten aber in der Kapregion selbst nicht gedeihen, was den Vorstoß der Bantu-Landwirtschaft zum Stehen brachte. Bananen und andere tropische Gewächse aus Asien, für die Afrikas Klima hervorragend geeignet ist und die heute zu den ertragreichsten Gewächsen der afrikanischen Tropen zählen, konnten Afrika auf dem Landweg nicht erreichen. Offenbar trafen sie erst im ersten Jahrtausend n. Chr. ein, also lange nach ihrer Domestikation in Asien, weil sie warten mußten, bis auf dem Indischen Ozean ein reger Handelsverkehr entstand.
Afrikas Nord-Süd-Achse stellte auch für die Ausbreitung von Haustieren ein ernstes Hindernis dar. Die in Äquatorialafrika von Tsetsefliegen übertragenen Trypanosomen, gegen die afrikanische Säugetiere resistent sind, hatten eine vernichtende Wirkung auf eingeführtes eurasisches und nordafrikanisches Vieh. Die Rinder, die von Bantu aus der tsetsefreien Sahelzone mitgebracht wurden, blieben bei der Bantu-Expansion durch die äquatorialen Regenwälder auf der Strecke. Das Pferd – es war schon um 1800 v. Chr. in Ägypten eingetroffen und hatte bald darauf eine Revolution der Kriegführung in Nordafrika ausgelöst – durchquerte die Sahara erst im ersten Jahrtausend n. Chr., um den Aufstieg westafrikanischer Königreiche zu beflügeln. Durch die Tsetsefliegen-Zone hindurch nach Süden breitete es sich jedoch nie aus. Rinder, Schafe und Ziegen waren schon im dritten Jahrtausend v. Chr. an den Nordrand der Serengeti vorgedrungen, doch es sollte noch über 2000 Jahre dauern, bis sie die Serengeti durchquerten und im südlichen Afrika Einzug hielten.
Auch technische Errungenschaften kamen entlang der afrikanischen Nord-Süd-Achse nur im Schneckentempo voran. Die Töpferei, im Sudan und in der Sahara schon um 8000 v. Chr. bekannt, erreichte die Kapregion erst um die Zeitwende. Obwohl die Schrift in Ägypten schon um 3000 v. Chr. erfunden wurde und in Alphabetform nach Nubien und Äthiopien (möglicherweise von Arabien aus) gelangte, wurde sie im übrigen Afrika nirgendwo unabhängig entwickelt, sondern erst von Arabern und Europäern eingeführt.
Fazit: Die Kolonisierung Afrikas durch Europäer hatte nichts mit Unterschieden zwischen afrikanischen und europäischen Völkern zu tun, wie weiße Rassisten meinen. Vielmehr waren letztlich geographische und biogeographische Zufälligkeiten – insbesondere die unterschiedliche Größe, Achsenausrichtung und Ausstattung mit Pflanzen- und Tierarten beider Kontinente – entscheidend für den ungleichen Gang der Geschichte in Afrika und Europa.
EPILOG
Die Zukunft der Geschichte als
Weitere Kostenlose Bücher