Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Naturwissenschaft
 
    Y alis Frage berührte den Kern der gegenwärtigen Probleme der Menschheit und der Geschichte unserer Spezies seit dem Ende der letzten Eiszeit. Welche Antwort können wir geben, nun, da wir am Ende unserer Rundreise durch die Kontinente angekommen sind?
    Ich würde zu Yali sagen: Die auffälligen Unterschiede zwischen der Geschichte der Völker der verschiedenen Kontinente, in großen Zeiträumen betrachtet, beruhen nicht auf angeborenen Unterschieden zwischen den Völkern, sondern auf der Unterschiedlichkeit ihrer Umwelt. Hätte man die Bevölkerungen Australiens und Eurasiens im ausgehenden Eiszeitalter miteinander vertauscht, so würden die ursprünglichen australischen Aborigines nach meiner Vermutung heute den größten Teil Nord- und Südamerikas und Australiens sowie Eurasien in ihrem Besitz halten, während die ursprünglichen Eurasier ihr Dasein als unterdrückte Minderheit in Australien fristen würden. Man mag geneigt sein, eine derartige Behauptung als bedeutungslos zurückzuweisen, da es sich um ein rein imaginäres Experiment handelt, dessen postuliertes Ergebnis weder bestätigt noch widerlegt werden kann. Historiker sind aber durchaus in der Lage, verwandte Hypothesen anhand von Erkenntnissen über die Vergangenheit zu testen. So kann beispielsweise untersucht werden, was geschah, als europäische Bauern nach Grönland oder in die amerikanische Prärie umsiedelten oder als Bau­ern ursprünglich chinesischer Herkunft auszogen, um schließlich auf den Chathaminseln, in den Regenwäl­dern Borneos oder auf den Vulkanböden Javas oder Ha­waiis eine neue Heimat zu finden. Diese retrospektiven Tests zeigen, daß die Nachfahren ein und desselben Ah­nenvolkes je nach der Umwelt, in der sie landeten, aus­starben, zu Jägern und Sammlern wurden oder Staaten mit komplexer Organisation errichteten. Ähnlich er­ging es australischen Jägern und Sammlern, die es auf die Flindersinsel, nach Tasmanien oder Südostaustra­lien verschlug. Je nach ihrer neuen Umwelt starben sie aus, verharrten als Jäger und Sammler auf dem niedrig­sten technischen Niveau der jüngeren Geschichte oder wurden zu erfolgreichen Fischern, die komplizierte Ka­nalsysteme anlegten und instand hielten.
    Natürlich unterscheiden sich die Kontinente in un­zähligen Merkmalen ihrer Umwelt, die auf die eine oder andere Weise die Entwicklung menschlicher Zivilisatio­nen beeinflußten. Eine lange Liste aller nur denkbaren Unterschiede wäre aber keine Antwort auf Yalis Frage. Für unsere Fragestellung bedeutsam erscheinen mir le­diglich vier Gruppen von Unterschieden.
    Die erste umfaßt Unterschiede in der Ausstattung mit Wildpflanzen und -tieren, die das Ausgangsmaterial der Domestikation bildeten. Die Landwirtschaft, die dome­stizierter Pflanzen und Tiere bedurfte, war von entschei­dender Bedeutung für die Anhäufung von Lebensmit­telüberschüssen, mit denen Spezialisten, die selbst nicht zur Nahrungserzeugung beitrugen, miternährt werden konnten, sowie für die Entstehung großer Bevölkerun­gen, die auch ohne technische und politische Neuerun­gen allein wegen ihres zahlenmäßigen Gewichts einen Machtfaktor darstellten. Aus beiden Gründen fußten alle ökonomisch differenzierten, sozial geschichteten Gesell­schaften mit zentralistischer politischer Ordnung ober­halb der Stufe kleinerer Häuptlingsreiche auf der Land­wirtschaft.
    Die meisten Pflanzen- und Tierarten erwiesen sich je­doch als ungeeignet für die Domestikation, so daß nur eine relativ kleine Zahl von Anbaupflanzen und Haus­tieren die Grundlage der Landwirtschaft bildete. Wie wir gesehen haben, unterschied sich die Zahl der Domesti­kationskandidaten von Kontinent zu Kontinent erheb­lich, was mit der unterschiedlichen Größe der Landmas­sen zusammenhing, aber (im Fall der großen Säugetiere) auch damit, daß die Welle des Aussterbens gegen Ende des Eiszeitalters die verschiedenen Kontinente mit un­terschiedlicher Wucht überrollte. So waren Australien und Nord- und Südamerika viel schwerer betroffen als Eurasien oder Afrika. Am Ende war Afrika biologisch etwas schlechter ausgestattet als Eurasien mit seiner viel größeren Ausdehnung, aber deutlich besser als der ame­rikanische Doppelkontinent, der wiederum besser da­stand als Australien und auch als Yalis Heimat Neugui­nea (dessen Fläche etwa einem 70stel der Fläche Eura­siens entspricht und dessen große Säugetiere am Ende des Eiszeitalters ausnahmslos verschwanden).
    Auf

Weitere Kostenlose Bücher