Arm und Reich
der Inkas nie, berittene Streitkräfte in offener Schlacht zu besiegen. Als Quizo Yupanqui, der beste General des Inka-Herrschers Manco, der Atahualpa im Amt nachgefolgt war, die Spanier 1536 in Lima belagerte und versuchte, die Stadt zu erstürmen, griffen zwei Schwadronen der spanischen Kavallerie die zahlenmäßig weit überlegene indianische Streitmacht auf flachem Feld an, töteten Quizo und alle seine Kommandeure beim ersten Ansturm und rieben Quizos Heer vollständig auf. Durch einen ähnlichen Kavallerieangriff, ausgeführt von nur 26 Reitern, wurden wenig später die besten Einheiten des Herrschers selbst vernichtet, als er die Spanier in Cuzco belagerte.
Die Transformation der Kriegführung durch das Pferd begann mit seiner Domestikation um 4000 v. Chr. in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres. Pferde verschafften ihren Besitzern die Möglichkeit, weitaus größere Entfernungen zu überwinden als zu Fuß, Überraschungsangriffe zu unternehmen und schnell zu entkommen, bevor eine überlegene Streitmacht zusammengerufen war. Ihre Rolle in Cajamarca ist somit ein Beispiel für ein militärisches Machtinstrument, das seine Wirksamkeit 6000 Jahre lang bis ins frühe 20. Jahrhundert behielt und im Laufe der Zeit auf allen Kontinenten eingesetzt wurde. Erst im Ersten Weltkrieg ging die Ära der Kavallerie zu Ende. Führt man sich vor Augen, welche Überlegenheit die Spanier aufgrund ihrer Pferde und ihrer Waffen und Rüstungen aus Stahl besaßen, sollte es nicht länger überraschen, daß sie im Kampf gegen Fußsoldaten ohne stählerne Waffen und Rüstungen trotz gewaltiger zahlenmäßiger Unterlegenheit eine Schlacht nach der anderen gewannen.
Warum war Atahualpa in Cajamarca? Atahualpa und sein Heer befanden sich in Cajamarca, weil sie gerade entscheidende Schlachten in einem Bürgerkrieg gewonnen hatten, der die Inkas gespalten und ihr Staatswesen geschwächt hatte. Pizarro begriff die Situation rasch und wußte geschickt aus den inneren Problemen der Inkas Vorteile zu schlagen. Ursache des Bürgerkriegs war eine Pockenepidemie, die sich, nachdem sie von Spaniern nach Panama und Kolumbien eingeschleppt worden war, unter den südamerikanischen Indianern ausbreitete und gegen 1526 den Inka-Herrscher Huayna Capac und fast seinen gesamten Hofstaat dahinraffte; kurz darauf fiel auch der designierte Nachfolger des Herrschers, Ninan Cuyuchi, der Seuche zum Opfer. Daraufh in entspann sich ein Kampf um die Thronfolge zwischen Atahualpa und seinem Halbbruder Huascar. Ohne die Krankheitsepidemie hätten es die Spanier mit einem geeinten Gegner zu tun gehabt.
Atahualpas Anwesenheit in Cajamarca wirft somit ein Schlaglicht auf einen der wichtigsten Faktoren der Weltgeschichte: Krankheiten, mit denen Völker, die ein beträchtliches Maß an Immunität besaßen, andere Völker, denen es an solcher Immunität mangelte, ansteckten. Pocken, Masern, Grippe, Typhus, Beulenpest und andere Infektionskrankheiten europäischer Herkunft spielten eine entscheidende Rolle bei den Eroberungen der Europäer, indem sie zahlreiche Völker anderer Kontinente dezimierten. So wütete eine Pockenepidemie nach dem fehlgeschlagenen ersten Eroberungsversuch der Spanier im Jahr 1520 unter den Azteken. Sie tötete nicht nur einen großen Teil der Bevölkerung, sondern forderte auch das Leben von Cuitlahuac, der nur kurze Zeit Montezumas Nachfolger als Azteken-Herrscher war. In ganz Nord- und Südamerika eilten die mitgebrachten Krankheiten den vordringenden Europäern von Stamm zu Stamm voraus und griffen um sich, lange bevor sie selbst eintrafen. Nach Schätzungen kamen auf diese Weise 95 Prozent der präkolumbianischen Indianerbevölkerung ums Leben. Die bevölkerungsreichsten und am weitesten entwickelten Zivilisationen Nordamerikas, die Reiche am Mississippi, gingen auf diese Weise zwischen 1492 und dem späten 17. Jahrhundert unter, noch bevor die Europäer ihre erste Siedlung am Mississippi errichteten. Bei der Unterwerfung des südafrikanischen San-Volks durch europäische Siedler war eine Pockenepidemie im Jahr 1713 der wichtigste Faktor. In Australien breitete sich kurz nach der Errichtung einer britischen Siedlung am Ort des heutigen Sydney im Jahr 1788 die erste einer Reihe von Epidemien aus, denen im Laufe der Zeit ein Großteil der australischen Aborigines zum Opfer fallen sollte. Ein gut dokumentiertes Beispiel aus der pazifischen Inselwelt ist die Epidemie, die 1806 wie ein
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