Arm und Reich
Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde und aller Dinge und Lebewesen darauf, zu, daß dies geschieht, damit du ihn annehmen mögest und aus dem Leben in Finsternis und Barbarei, das du führst, befreit werdest. Dies ist der Grund, warum wir, so wenige an der Zahl, dein riesiges Heer bezwingen. Wenn du die Irrtümer erkannt hast, in denen du lebst, wirst du begreifen, daß wir dir Gutes taten, als wir auf Geheiß seiner Majestät des Königs von Spanien in dein Land kamen. Unser Herr hat es so gewollt, daß dein Stolz gebrochen werde und daß kein Indianer die Macht haben solle, sich an einem Christenmenschen zu vergreifen.‹«
Wir wollen einmal die Kausalkette zurückverfolgen, die zu dieser außergewöhnlichen Konfrontation führte, angefangen mit dem unmittelbaren Geschehen. Wie kam es beim Zusammentreffen von Pizarro und Atahualpa in Cajamarca dazu, daß Pizarro den Inka-Herrscher in seine Gewalt brachte und so viele Männer in dessen Gefolge tötete, statt daß umgekehrt Atahualpas Streitkräfte, die doch eine enorme Übermacht besaßen, Pizarro und seine Männer besiegten? Immerhin bestand Pizarros Streitmacht nur aus 62 Reitern und 106 Fußsoldaten, während Atahualpa ein Heer von rund 80 000 Mann befehligte. Und weiter: Wie kam es überhaupt,
daß Pizarro in Amerika war? Warum war nicht Atahualpa nach Spanien gefahren, um König Karl I. gefangenzunehmen? Warum tappte Atahualpa in eine, wie man im Rückblick sagen muß, so durchsichtige Falle? Kamen die Faktoren, die bei der Begegnung Atahualpas und Pizarros eine Rolle spielten, auch bei anderen Begegnungen zwischen Völkern der Alten und der Neuen Welt zum Tragen?
Warum konnte Pizarro Atahualpa in seine Gewalt bringen? Pizarros militärische Überlegenheit bestand in den Schwertern und anderen Waffen und Rüstungen aus Stahl, in seinen Kanonen und Pferden. Dem hatten Atahualpas Soldaten nur Keulen und Äxte aus Stein, Bronze oder Holz, dazu Schleudern und leichte Rüstungen entgegenzusetzen; außerdem mangelte es ihnen an Tieren für den Ritt in die Schlacht. Dieser ungleiche Ausrüstungsstand spielte in zahllosen anderen Konfrontationen von Europäern mit Indianern und anderen Völkern eine entscheidende Rolle.
Die einzigen Indianerstämme, die sich der Unterwerfung durch Europäer viele Jahrhunderte lang erfolgreich widersetzten, waren jene, die in den Besitz von Pferden und Gewehren gelangt waren und das militärische Ungleichgewicht auf diese Weise gemindert hatten.
Erwähnt man gegenüber weißen Amerikanern das Wort »Indianer«, denken die meisten sofort an einen gewehrschwingenden Prärieindianer auf einem Pferd – ganz nach dem Bild jener Sioux-Krieger, die 1876 in der berühmten Schlacht am Little Big Horn das von General George Custer angeführte Bataillon der US-Streitkräfte vollständig aufrieben. Dabei wird oft vergessen, daß Pferde und Flinten den Indianern natürlich anfangs fremd waren. Es handelte sich um Mitbringsel der Europäer, die dann in den Stämmen, die in ihren Besitz gelangten, weitreichende Veränderungen auslösten. Dank der Beherrschung des Umgangs mit Pferden und Gewehren konnten die Prärieindianer in Nordamerika, die araukanischen Indianer in Südchile und die Pampasindianer in Argentinien die weißen Eindringlinge länger als alle anderen Indianerstämme erfolgreich abwehren. Erst in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mußten sie ihren Widerstand nach massivem militärischem Vorgehen weißer Regie rungen aufgeben.
Wir können uns heute nur schwer vorstellen, wie sich die Spanier, gestützt auf ihre bessere militärische Ausrüstung, gegen eine so ungeheure zahlenmäßige Überlegenheit durchsetzen konnten. In der Schlacht von Cajamarca siegten sie über ein Indianerheer, das 500mal mehr Soldaten zählte als Pizarros kleine Schar. Tausende von Indianern wurden getötet, ohne daß ein einziger Spanier sein Leben verlor. In Berichten über Pizarros spätere Kämpfe gegen die Inkas, über Cortés’ Sieg über die Azteken und andere frühe Feldzüge von Europäern gegen indianische Reiche werden immer wieder Begegnungen geschildert, bei denen ein paar Dutzend europäische Reiter Tausende von Indianern niedermetzelten. Als Pizarro nach dem Tod Atahualpas von Cajamarca zur Inka-Hauptstadt Cuzco zog, kam es zu vier derartigen Schlachten: bei Jauja, Vilcashuaman, Vilcaconga und Cuzco. Auf spanischer Seite waren daran nur jeweils
Weitere Kostenlose Bücher