Arm und Reich
der wenigen für Menschen genießbaren Pflanzen- und Tierarten mit der Folge, daß 90 Prozent statt 0,1 Prozent der Biomasse eines Hektars Land auf sie entfallen, erhalten wir erheblich mehr eßbare Kalorien pro Hektar. Folglich kann eine bestimmte Fläche eine weit größere Zahl von Ackerbauern und Viehzüchtern – in der Regel zehn- bis hundertmal mehr – ernähren als Jäger und Sammler. Diese auf schieren Zahlen basierende Stärke war der erste von vielen militärischen Vorteilen, die Landwirtschaft betreibende Stämme gegenüber Stämmen von Jägern und Sammlern errangen. – In Gesellschaften mit Haustierhaltung trug das Vieh auf vier verschiedene Arten zur Ernährung einer größeren Zahl von Menschen bei: durch Lieferung von Fleisch, Milch und Dünger sowie als Zugtiere bei der Feldbestellung. An erster und wichtigster Stelle wurden Haustiere zum Hauptlieferanten von tierischem Eiweiß und traten damit die Nachfolge von Wildtieren an. Heute decken beispielsweise die meisten Amerikaner ihren Bedarf an tierischem Eiweiß durch Verzehr von Rind-, Schweine-, Schaf- und Hühnerfleisch, während Wild (z. B. Hirschfleisch) zur seltenen Delikatesse geworden ist. Daneben wurden einige domestizierte Säugetiere zu Lieferanten von Milch und Milchprodukten wie Butter, Käse und Joghurt. Neben Kühen dienen Schafe, Ziegen, Pferde, Rentiere, Wasserbüffel, Jaks, Dromedare und Kamele als Milchspender. Auf diese Weise liefern sie während ihrer Lebensspanne ein Mehrfaches der Kalorienzahl, die man erhielte, würde man sie nur schlachten und ihr Fleisch verzehren.
Außerdem trugen große domestizierte Säugetiere im Zusammenspiel mit domestizierten Pflanzen auf zweierlei Art zur Ausweitung der Nahrungsproduktion bei. Zum einen können Bodenerträge, wie jeder Bauer oder Gärtner weiß, mit Hilfe von Dung und Jauche erheblich gesteigert werden. Selbst nach Erfindung synthetischer Düngemittel, die in modernen Chemiefabriken hergestellt werden, ist in den meisten Ländern tierischer Dung – vor allem von Kühen, aber auch von Jaks und Schafen – nach wie vor das Düngemittel Nummer eins. In traditionellen Gesellschaften fand Dung auch als Brennstoff Verwendung.
Zum anderen steigerten die größten unter den domestizierten Säugetieren als Zugtiere die Erträge des Pflanzenanbaus, indem sie Pflüge zogen und so die Bestellung von Land ermöglichten, das sonst unbebaut geblieben wäre. Zu den am stärksten verbreiteten Zugtieren zählten Kühe, Pferde, Wasserbüffel, Bali-Rinder und Kreuzungen aus Jak und Kuh. Ein Beispiel für ihren hohen Nutzen lieferten die ersten prähistorischen Bauern in Mitteleuropa, die der sogenannten bandkeramischen Kultur zugeordnet werden, die um 5000 v. Chr. auftauchte. Ursprünglich waren sie auf leichte Böden angewiesen, die mit Grabstöcken bestellt werden konnten. Nur gut tausend Jahre später – inzwischen war der Ochsenpflug eingeführt – mußten diese Ackerbauern jedoch auch vor schweren Böden und harten Soden nicht mehr haltmachen. Ähnlich wurden in Nordamerika von einigen Indianerstämmen der großen Präriegebiete zwar Flußtäler bestellt, doch die festen Soden der ausgedehnten Hochlandflächen blieben bis zum 19. Jahrhundert, als Europäer mit ihren Haustieren und Pflügen Einzug hielten, landwirtschaftlich ungenutzt.
So führte die Domestikation von Pflanzen und Tieren auf direktem Wege zu höheren Bevölkerungsdichten, da mehr Nahrung erzeugt werden konnte als zuvor. Ein ähnlicher, wenn auch weniger direkter Effekt hängt mit den Folgen der Seßhaftigkeit zusammen, die eine Bedingung der Landwirtschaft war. Während die meisten Jäger und Sammler auf der Nahrungssuche häufig von einem Ort zum anderen ziehen, müssen Bauern stets in der Nähe ihrer Felder und Obstgärten bleiben. Die daraus resultierende Seßhaftigkeit trägt zu höheren Bevölkerungsdichten bei, da sie kürzere Abstände zwischen zwei Geburten erlaubt. Bei Jägern und Sammlern kann eine Mutter beim Umzug zu einem anderen Lagerplatz außer ihrer spärlichen Habe nicht mehr als ein Kind tragen. Den nächsten Sproß kann sie sich erst leisten, wenn der vorige schon schnell genug laufen kann, um mit den Erwachsenen Schritt zu halten. Nomadische Jäger-Sammler-Kulturen sorgen deshalb in der Regel dafür, daß zwischen zwei Geburten ein Abstand von etwa vier Jahren liegt. Die dazu praktizierten Methoden sind unter anderem langes Stillen, sexuelle
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