Arm und Reich
(einschließlich der fruchtbarsten Regionen) von Jägern und Sammlern bevölkert waren, wahrscheinlich ein viel höherer Anteil als heute, wo die wenigen noch verbliebenen Jäger und Sammler meist in Randgebiete abgedrängt sind, in denen eine nomadische Lebensweise für sie die einzige Möglichkeit darstellt, ihr Leben zu fristen.
Auch der umgekehrte Fall nichtseßhaft er Nahrungsproduzenten kommt vor. So roden einige heutige Nomaden im Seentiefland von Neuguinea Lichtungen im Dschungel und pflanzen dort Bananen und Papayas, um anschließend wieder für einige Monate als Jäger und Sammler umherzuziehen; dann kehren sie zurück, um nach dem Gedeihen ihrer Pflanzen zu sehen und, falls erforderlich, Unkraut zu jäten, bevor sie sich erneut auf die Jagd begeben. Erst Monate später kommen sie zu ihren Pflanzungen zurück und lassen sich nun für eine Weile dort nieder, um zu ernten und von den Früchten ihrer Arbeit zu leben. Apachen-Indianer im Südwesten der heutigen USA verbrachten den Sommer als seßhafte Bauern in höheren Lagen, um im Winter tieferliegende Gebiete auf Nahrungssuche zu durchstreifen. Viele Hirtenvölker in Afrika und Asien verlegen ihre Lager regelmäßig entlang jahreszeitlich festgelegter Routen, um mit ihren Herden immer dort zu sein, wo die Weiden am grünsten sind. Das zeigt, daß die Umstellung vom Jagen und Sammeln auf die Landwirtschaft nicht immer mit der Abkehr vom Nomadentum und dem Beginn einer seßhaften Lebensweise zusammenfiel.
Eine weitere vermeintliche Dichotomie, die in der Realität verschwimmt, ist die Unterscheidung zwischen Nahrungsproduzenten, die ihr Land aktiv bestellen, und Jägern und Sammlern als passiven Konsumenten der Früchte der Natur. In Wirklichkeit gibt es durchaus Jäger und Sammler, die ihr Land intensiv bearbeiten. Das gilt zum Beispiel für manche Stämme in Neuguinea, die zwar nie Sagopalme oder Bergpandanus domestizierten, die Erträge dieser eßbaren Wildpflanzen aber immerhin steigern, indem sie Bäume roden, die sich anschicken, ihnen den Platz streitig zu machen, Wasserläufe in Sagosümpfen freihalten und ältere Sagobäume fällen, damit junge Triebe besser wachsen können. Australische Aborigines, die nie das Stadium des Anbaus von Jamswurzeln und Samenpflanzen erreichten, nahmen dennoch einige Elemente der Landwirtschaft vorweg. So legten sie Buschbrände, um eßbare Samenpflanzen zu gewinnen, die nach einem Feuer aus dem Boden sprießen. Beim Sammeln wilder Jamswurzeln schnitten sie den größten Teil der eßbaren Knolle ab, setzten aber Stiel und Knollenspitze wieder ins Erdreich ein, damit die Knollen nachwachsen konnten. Beim Graben nach den Knollen wurde der Boden gelockert und belüftet, was das neue Wachstum beschleunigte. Um sich die Definition als Bauern zu verdienen, hätten sie lediglich die Stiele mit den daran verbliebenen Knollen zu ihrem Lager tragen und sie dort auf die gleiche Weise wieder in die Erde stecken müssen.
Von diesen Vorläufern der Landwirtschaft, die uns bereits bei Jägern und Sammlern begegnen, ging die weitere Entwicklung in Richtung Ackerbau und Viehzucht schrittweise vonstatten. Natürlich war es nicht so, daß alle erforderlichen Techniken binnen kurzer Zeit erfunden wurden und daß die Domestikation aller Wildpflanzen und -tiere in einem bestimmten Gebiet zur gleichen Zeit erfolgte. Selbst dort, wo sich der Übergang vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft eigenständig und verhältnismäßig rasch vollzog, dauerte es Jahrtausende, bis an die Stelle der vollständigen Abhängigkeit von wilder Nahrung ein Speiseplan getreten war, an dem diese nur noch geringen Anteil hatte. In den Anfangsstadien der Landwirtschaft standen das Sammeln wilder Nahrung und die Feldbestellung beziehungsweise Viehhaltung nebeneinander; zu unterschiedlichen Zeitpunkten traten dann verschiedene Arten von Sammelaktivitäten in den Hintergrund, während die Bedeutung der Kulturpflanzen wuchs.
Dieser etappenweise Übergang erklärt sich daraus, daß sich landwirtschaftliche Systeme als Resultat einer Vielzahl von Einzelentscheidungen über die Aufteilung von Zeit und Mühe ganz allmählich herausbildeten. Bei der Nahrungssuche stehen Menschen, genau wie Tieren, nur begrenzte Ressourcen an Zeit und Energie zur Verfügung, die sie auf unterschiedliche Weise nutzen können. Versetzen wir uns einmal in einen jener angehenden Bauern hinein, der morgens aufwacht und sich
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