Arm und Reich
sonstigen Gründen nicht übernommen wurden, müßten wir weiter nagende Zweifel hegen. Ungeachtet alles bisher Gesagten bliebe der Verdacht, in der lokalen Wildflora könnte sich vielleicht doch ein Vorfahr einer potentiell wertvollen Anbaupflanze verbergen, der von den örtlichen Bauern aufgrund kultureller Faktoren nicht beachtet wurde. Am Beispiel der beiden Regionen wird uns außerdem eine entscheidende Tatsache der Geschichte vor Augen geführt: daß nämlich Kultur pflanzen aus verschiedenen Teilen der Erde unterschiedlich ertragreich waren.
Neuguinea, nach Grönland die zweitgrößte Insel der Welt, liegt nur etwas nördlich von Australien in Äquatornähe. Wegen seines tropischen Klimas und der äußerst vielfältigen Lebensräume und Topographie besitzt Neuguinea eine reichhaltige Flora und Fauna (allerdings keine so reichhaltige wie vergleichbare festländische Tropenregionen). Die Besiedlung Neuguineas durch den Menschen reicht mindestens 40 000 Jahre zurück – viel länger als die Nord- und Südamerikas und etwas länger als die Besiedlung Westeuropas durch anatomisch weiterentwickelte Menschen. Insofern hatten die Neuguineer reichlich Gelegenheit, mit der örtlichen Pflanzen- und Tierwelt vertraut zu werden. Waren sie aber auch motiviert, ihr Wissen einzusetzen, um eine landwirtschaftliche Nahrungsproduktion aufzu bauen?
Ich erwähnte bereits, daß wir es beim Übergang zur Landwirtschaft mit einer Konkurrenzsituation zwischen dem Jagen und Sammeln auf der einen und Ackerbau und/oder Viehzucht auf der anderen Seite zu tun haben. In Neuguinea ist die Jagd- und Sammelwirtschaft nicht in dem Maße lohnend, daß der Anreiz zur Nahrungsproduktion dadurch geschmälert würde. Die heutigen Jäger und Sammler der Insel leiden besonders unter der ausgesprochenen Wildarmut: Unter den landbewohnenden Tierarten, die in Neuguinea heimisch sind, ist keins größer als der Kasuar, ein 100 Pfund schwerer flugunfähiger Vogel, und als ein 50 Pfund schweres Känguruh. Im neuguineischen Tiefland spielen in Küstennähe Fische und Schalentiere eine wichtige Rolle als Nahrungslieferanten, während viele Bewohner des Landesinneren noch als Jäger und Sammler leben und sich vorwiegend von wildwachsenden Sagopalmen ernähren. Von den Hochlandvölkern Neuguineas hat jedoch keins die Jagd- und Sammelwirtschaft bis in die Gegenwart beibehalten; sie leben durchweg in bäuerlichen Gesellschaften, die mit Nahrung aus der Natur lediglich ihren Speiseplan bereichern. Begeben sich Hochlandbewohner im Dschungel auf die Jagd, so nehmen sie als Proviant Gemüse mit, das aus ihren Gärten stammt. Falls sie das Pech haben, daß ihnen die Vorräte ausgehen, müssen sie trotz ihrer detaillierten Kenntnis der heimischen Wildpflanzen und -tiere im Wald verhungern. Da die Jagd- und Sammelwirtschaft mit anderen Worten in großen Teilen des heutigen Neuguinea unpraktikabel ist, überrascht es nicht, daß alle neuguineischen Hochland- und die meisten Tieflandbewohner heutzutage seßhafte Bauern sind. Große, früher bewaldete Gebiete des Hochlands wurden von traditionellen neuguineischen Bauern in abgezäunte, entwässerte, intensiv genutzte Ackerflächen verwandelt, die eine große Zahl von Menschen ernähren.
Archäologische Funde lassen den Schluß zu, daß die Landwirtschaft in Neuguinea schon vor langer Zeit begann, etwa um 7000 v. Chr. In jener Zeit waren alle Landmassen in der Umgebung der Insel noch ausschließlich von Jägern und Sammlern besiedelt, so daß die frühe Landwirtschaft auf Neuguinea unabhängig von äußeren Einflüssen entstanden sein muß. Zwar wurden bisher keine eindeutigen Überreste von Anbaupflanzen aus vorgeschichtlicher Zeit entdeckt, doch dürften einige der gleichen Pflanzen darunter gewesen sein, die zur Zeit der europäischen Kolonisation angebaut wurden und von denen man inzwischen weiß, daß sie wilde neuguineische Vorfahren besitzen. Von herausragender Bedeutung ist Zuckerrohr, die führende Anbaupflanze der heutigen Welt, deren Jahresproduktion in Tonnen fast so hoch ist wie die der Pflanzen auf den Rängen 2 und 3 (Weizen und Mais) zusammen. Andere Kulturpflanzen von unumstritten neuguineischer Herkunft sind unter anderem einige Bananenarten mit der Sammelbezeichnung Australimusa , der Nußbaum Canarium indicum , Sumpftaro sowie verschiedene eßbare Gräser, Wurzeln und grüne Gemüse. Brotfruchtbaum, Jamswurzel und
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