Arm und Reich
schwierig sei, Speise- von Giftpilzen zu unterscheiden, und daß es sich nicht lohne, das Risiko einzugehen, auch wenn wir alle noch so hungrig seien. An diesem Punkt wurden meine Gefährten ärgerlich und bedeuteten mir, ich solle ihnen jetzt einmal zuhören, sie würden mir gern einige Dinge klarmachen. Wie konnte ich sie, nachdem ich sie jahrelang über die Namen Hunderter von Bäumen und Vögeln ausgefragt hatte, jetzt so beleidigen, indem ich unterstellte, sie wüßten nicht die Unterschiede zwischen verschiedenen Pilzarten? Nur Amerikaner könnten so dumm sein, giftige mit eßbaren Pilzen zu verwechseln. Dann hielten sie mir noch Vorträge über 29 Arten von Speisepilzen, nannten für jede den Namen in der Foré-Sprache und erläuterten, wo man im Dschungel am besten nach ihnen suchen sollte. Der Pilz, der die Diskussion ausgelöst hatte, hieß Tánti, wuchs auf Bäumen und war besonders schmackhaft und absolut ungiftig.
Jedesmal, wenn ich Neuguineer auf Reisen in andere Teile ihrer Insel mitnehme, unterhalten sie sich häufig mit anderen Neuguineern, die uns begegnen, über die örtliche Natur und pflücken potentiell nützliche Pflanzen, um sie mit in ihre Heimatdörfer zu nehmen und dort versuchsweise anzupflanzen. Meine Erfahrungen mit Neuguineern decken sich mit denen von Ethnobiologen, die Völker mit traditioneller Lebensweise in anderen Regionen studiert haben. All diese Völker betreiben jedoch wenigstens in gewissem Umfang schon Landwirtschaft beziehungsweise sind die teilweise akkulturierten letzten Vertreter der alten Jäger- und Sammlerkulturen der Welt. Vor dem Aufstieg der Landwirtschaft, als alle Erdbewohner noch ausschließlich von dem lebten, was ihnen die Natur bot, war das Wissen über wilde Arten vermutlich noch viel umfassender. Die ersten Bauern waren Erben dieses Wissensschatzes, den im Laufe von Jahrzehntausenden Menschen, die in enger Gemeinschaft mit der Natur lebten, angehäuft hatten. Ich halte es deshalb für ausgesprochen unwahrscheinlich, daß potentiell nützliche Arten ihrer Aufmerksamkeit entgangen sind.
Die zweite, mit der ersten eng verknüpfte Frage lautet, ob vorgeschichtliche Sammler und Ackerbauern ihr ethnobiologisches Wissen bei der Auswahl und späteren Kultivierung geeigneter Wildpflanzen praktisch umsetzten. Eine Möglichkeit, dieser Frage nachzugehen, bietet die archäologische Fundstätte Tell Abu Hureyra am Rande des Euphrattals in Syrien. Zwischen 10000 und 9000 v. Chr. lebte die dortige Bevölkerung, so wird vermutet, schon ganzjährig in festen Siedlungen, betrieb jedoch noch Jagd- und Sammelwirtschaft. Der Übergang zur Landwirtschaft erfolgte erst ein Jahrtausend später. Die Archäologen Gordon Hillman, Susan Colledge und David Harris fanden an der Ausgrabungsstätte große Mengen verkohlter Pflanzenreste, bei denen es sich wahrscheinlich um weggeworfene Reste von Wildpflanzen handelte, die von den Bewohnern der Fundstätte gesammelt und dorthin gebracht worden waren. Die Wissenschaftler analysierten über 700 Proben, von denen jede im Durchschnitt mehr als 500 identifizierbare Samen von über 70 Pflanzenarten enthielt. Wie sich herausstellte, sammelten die Dorfbewohner eine ungeheure Vielzahl von Pflanzen (157 Arten!), die anhand ihrer verkohlten Samen bestimmt werden konnten, ganz zu schweigen von weiteren Pflanzen, deren Bestimmung heute nicht mehr möglich ist.
Sammelten jene naiven Dörfler wohl jede Art von Samenpflanze, deren sie habhaft werden konnten, trugen sie heim, vergifteten sich an den meisten Arten und ernährten sich von den wenigen übrigen? Sicher nicht. Während die Zahl von 157 Arten den Eindruck erwecken mag, als sei wahllos alles gesammelt worden, was nur zu finden war, fehlten unter den verkohlten Pflanzenresten doch viele Arten, die in der Umgebung ebenfalls wuchsen. Die 157 in den Proben enthaltenen Pflanzen fallen in drei Kategorien. Viele haben ungiftige, ohne weiteres eßbare Samen. Bei anderen, zum Beispiel einigen Hülsenfrüchten und Senfgewächsen, sind die Samen zwar giftig, doch das Gift läßt sich leicht entfernen, so daß die Samen doch noch verspeist werden können. Einige wenige Samen gehören zu Arten, die traditionell zum Färben oder als Heilmittel verwendet wurden. Die zahlreichen Wildpflanzen, die unter den 157 Arten nicht gefunden wurden, sind genau jene, die für den Menschen nutzlos oder schädlich waren, wie etwa alle besonders giftigen
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