Arm und Reich
sehr untergeordnete Rolle. Um 900 n. Chr. tauchte endlich eine neue Maissorte auf, die an die kurzen Sommer in Nordamerika angepaßt war, und mit der Ankunft der Bohne um 1100 n. Chr. war das mexikanische Trio aus Mais, Bohne und Kürbis schließlich komplett. Die Landwirtschaft im Osten der USA erhielt dadurch kräftigen Auftrieb, und am Mississippi und seinen Nebenflüssen entstanden Reiche mit hoher Bevölkerungsdichte. In einigen Gebieten wurden die ursprünglich domestizierten Pflanzen parallel zu den viel ertragreicheren aus Mexiko weiter angebaut, in anderen jedoch vollständig von diesen verdrängt. Kein Europäer erblickte je Sumpfgras in indianischen Gärten, da diese Pflanze zur Zeit der europäischen Kolonisation Nord- und Südamerikas, die 1492 begann, nicht mehr kultiviert wurde. Unter allen erwähnten frühen Anbaupflanzen des amerikanischen Ostens konnten sich nur zwei (Sonnenblume und Östlicher Kürbis) in der Konkurrenz mit domestizierten Pflanzen fremder Herkunft behaupten und werden auch jetzt noch angebaut. Verschiedene heutige Kürbisarten sind direkte Nachfahren jener schon vor Tausenden von Jahren domestizierten amerikanischen Kürbisse.
Der Osten der USA hält somit, wie Neuguinea, einige interessante Lehren bereit. Grundsätzlich hätte man dort die unabhängige Entstehung einer ertragreichen Landwirtschaft für wahrscheinlich halten können. Die Region besitzt fruchtbare Böden, es fällt genügend, aber nicht zuviel Niederschlag, und das Klima ist immerhin so günstig, daß den heutigen Farmern reiche Erträge beschert werden. Die Pflanzenwelt ist artenreich und besteht unter anderem aus wilden Nußbäumen wie Eiche und Hickory. Die indianischen Bewohner der Region begründeten die Landwirtschaft auf der Basis heimischer Pflanzen, die sie domestizierten, und wurden in Dörfern seßhaft; im Zeitraum zwischen 200 v. Chr. und 400 n. Chr. kam es sogar zu einer kulturellen Blüte (Hopewell-Kultur im heutigen Ohio). Somit bestand mehrere Jahrtausende lang Gelegenheit, die nützlichsten Wildpflanzen der Region ausfindig zu machen und gegebenenfalls als Anbaupflanzen zu nutzen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Hopewell-Blütezeit erst rund 9000 Jahre nach Entstehung der ersten dörflichen Gemeinschaften in Vorderasien anbrach. Und selbst dann dauerte es noch bis etwa 900 n. Chr., bis das mexikanische Pflanzentrio ein starkes Bevölkerungswachstum auslöste, in dessen Folge am Mississippi eine kulturelle Blütezeit begann, in welcher die größten städtischen Siedlungen und die hochentwickeltsten Gesellschaften entstanden, die uns von Indianern nördlich Mexikos bekannt sind. Doch dieser Boom kam viel zu spät, um die Indianer Nordamerikas für die herannahende Katastrophe der europäischen Kolonisation zu wappnen. Eine Landwirtschaft, die allein auf den Pflanzen des amerikanischen Ostens basierte, hatte aus naheliegenden Gründen nicht ausgereicht, um den Wachstumsschub auszulösen. Die heimischen Wildgetreide der Region waren nicht annähernd so potent wie Weizen und Gerste. Die Indianer des amerikanischen Ostens domestizierten auch niemals heimische Hülsenfrüchte, Faserpflanzen, Obst oder Nußbäume. Zudem besaßen sie außer Hunden, deren Domestikation wahrscheinlich in einem anderen Teil Nord- oder Südamerikas erfolgte, kein einziges Haustier.
Sicher ist auch, daß die Indianer im Osten der USA unter den Wildpflanzen ihrer Umgebung keine bedeutenden potentiellen Anbaupflanzen übersahen. Selbst Agrarwissenschaftler des 20. Jahrhunderts konnten, gestützt auf die gesammelten Erkenntnisse der modernen Forschung, nur geringe Erfolge bei der Nutzbarmachung nordamerikanischer Wildpflanzen verbuchen. Es stimmt zwar, daß Pekannüsse und Blaubeeren domestiziert und einige eurasische Obstpflanzen (Äpfel, Pflaumen, Weinbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Erdbeeren) durch Kreuzung mit ihren wilden nordamerikanischen Verwandten verbessert wurden. Diese wenigen Erfolge änderten jedoch unsere gegenwärtigen Ernährungsgewohnheiten bei weitem nicht so nachhaltig, wie die der Indianer im Osten der USA durch die Einführung von Mais aus Mexiko in der Zeit nach 900 n. Chr. verändert wurden.
Diejenigen, die am meisten über die domestizierten Pflanzen des amerikanischen Ostens wußten, nämlich die dortigen Indianer, fällten ihr Urteil, indem sie sich nach Ankunft des mexikanischen Pflanzentrios ganz oder teilweise von ihnen
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