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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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ausge­gangen werden, daß sie alle Pflanzenarten, deren Do­mestikation lohnend gewesen wäre, entdeckt und gete­stet hätten. Auch sind die Neuguineer sehr wohl in der Lage, sinnvolle Ergänzungen ihres Sortiments an An­baupflanzen zu erkennen, wie die eifrige Übernahme der Süßkartoffel beweist. Die gleiche Lehre vermitteln auch heutige Entwicklungen auf Neuguinea, wo Stämme mit leichterem Zugang zu importierten Anbaupflanzen und Haustieren (beziehungsweise höherer kulturell bedingter Übernahmebereitschaft) auf Kosten von Stämmen, de­nen es daran mangelt, expandieren. Der begrenzte Er­folg der Landwirtschaft auf Neuguinea hatte also nicht das geringste mit den Völkern Neuguineas zu tun, son­dern rührte ausschließlich von Flora, Fauna und Um­weltbedingungen her.
    Mein zweites Beispiel dafür, wie eine unabhängig ent­standene Landwirtschaft durch die Gegebenheiten der örtlichen Pflanzenwelt in ihrer Entwicklung beschränkt wurde, liefert der Osten der USA. Wie in Neuguinea wurden dort heimische Wildpflanzen eigenständig do­mestiziert. Allerdings ist die früheste Entwicklung im Osten der USA weitaus besser erforscht als in Neugui­nea: Die Kulturpflanzen der ersten Ackerbauern konn­ten bestimmt werden, und auch Zeitpunkte und Rei­henfolge der lokalen Domestikation sind bekannt. Lan­ge vor der Ankunft von Anbaupflanzen aus anderen Gegenden siedelten sich nordamerikanische Indianer in Flußtälern an und betrieben dort auf der Grundla­ge lokaler Anbaugewächse eine intensive Landwirt­schaft. Sie waren mithin in der Lage, die Vorzüge der vielversprechendsten Wildpflanzen zu nutzen. Welche Pflanzen kultivierten sie am Ende, und wie schnitt ihr »Gründerpaket« im Vergleich zu dem des Fruchtbaren Halbmonds ab?
    Vier »Gründerpflanzen« wurden im Zeitraum zwi­schen 2500 und 1500 v. Chr. im Osten der USA domesti­ziert, volle 6000 Jahre nach der Domestikation von Wei­zen und Gerste in Vorderasien. Eine örtliche Kürbisart lieferte neben kleinen Behältern eßbare Kerne. Die drei übrigen Gründerpflanzen wurden nur wegen der eßba­ren Kerne angebaut (Sonnenblume, ein Gänseblümchen-Verwandter namens Sumpfholunder und Gänsefuß, ein entfernter Verwandter des Spinats).
    Drei Nahrungspflanzen und ein Gewächs zur Herstel­lung von Behältern ergaben jedoch noch keine ausrei­chende Grundlage für den Einstieg in die Landwirtschaft. Zwei Jahrtausende lang fristeten diese Gründerpflan­zen deshalb ein relativ unbedeutendes Dasein als Er­gänzung des Speiseplans der Indianerstämme im Osten der USA, die sich weiterhin in erster Linie von den Ga­ben der Natur ernährten (insbesondere von Wild und Wasservögeln, Fisch, Schalentieren und Nüssen). Erst ab 500–200 v. Chr., als noch drei weitere Anbaupflan­zen (Knöterich, Maygrass und Little Barley, eine Ger­stensorte) hinzugekommen waren, wuchs die Bedeutung der Landwirtschaft.
    Ein moderner Ernährungswissenschaftler wäre von den sieben Anbaupflanzen des amerikanischen Ostens hellauf begeistert. Alle besaßen einen hohen Eiweißge­halt (17–32 Prozent gegenüber 8–14 Prozent bei Wei­zen, 9 Prozent bei Mais und noch weniger bei Gerste und weißem Reis). Zwei von ihnen (Sonnenblume und Sumpfgras) waren überdies sehr ölhaltig (45–47 Pro­zent). Vor allem Sumpfgras wäre mit 32 Prozent Eiweiß- und 45 Prozent Ölgehalt den Idealvorstellungen eines Ernährungswissenschaftlers sehr nahe gekommen. Wie kommt es dann, daß diese Idealkost von unserem Spei­seplan so gänzlich verschwunden ist?
    Bei den meisten der genannten Gewächse standen dem Vorteil eines hohen Nährwerts schwere Nachteile ge­genüber. Gänsefuß, Knöterich, Little Barley und May­grass besaßen winzige Samen, deren Volumen nur einem Zehntel dessen von Weizen- und Gerstenkörnern ent­sprach. Noch schwerer wogen die Nachteile beim Sumpf­gras, einem windbestäubten Verwandten des Ambrosi­enkrauts, das als Heuschnupfenerreger verschrien ist. Wie Ambrosienkraut können auch Sumpfgraspollen Heuschnupfen auslösen, wenn die Pflanze in dichten Beständen wächst. Wen das noch nicht davon abbringt, Sumpfgras anzubauen, dem sei noch gesagt, daß dieses Gewächs einen starken Geruch verströmt, der nicht je­dem zusagt, und daß Berührungen zu Hautreizungen führen können.
    Kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung gelangten Kulturpflanzen aus Mexiko über Handelsrouten in den Osten der heutigen USA. Mais traf um 200 n. Chr. ein, spielte aber noch etliche Jahrhunderte eine

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