Arm und Reich
ausgegangen werden, daß sie alle Pflanzenarten, deren Domestikation lohnend gewesen wäre, entdeckt und getestet hätten. Auch sind die Neuguineer sehr wohl in der Lage, sinnvolle Ergänzungen ihres Sortiments an Anbaupflanzen zu erkennen, wie die eifrige Übernahme der Süßkartoffel beweist. Die gleiche Lehre vermitteln auch heutige Entwicklungen auf Neuguinea, wo Stämme mit leichterem Zugang zu importierten Anbaupflanzen und Haustieren (beziehungsweise höherer kulturell bedingter Übernahmebereitschaft) auf Kosten von Stämmen, denen es daran mangelt, expandieren. Der begrenzte Erfolg der Landwirtschaft auf Neuguinea hatte also nicht das geringste mit den Völkern Neuguineas zu tun, sondern rührte ausschließlich von Flora, Fauna und Umweltbedingungen her.
Mein zweites Beispiel dafür, wie eine unabhängig entstandene Landwirtschaft durch die Gegebenheiten der örtlichen Pflanzenwelt in ihrer Entwicklung beschränkt wurde, liefert der Osten der USA. Wie in Neuguinea wurden dort heimische Wildpflanzen eigenständig domestiziert. Allerdings ist die früheste Entwicklung im Osten der USA weitaus besser erforscht als in Neuguinea: Die Kulturpflanzen der ersten Ackerbauern konnten bestimmt werden, und auch Zeitpunkte und Reihenfolge der lokalen Domestikation sind bekannt. Lange vor der Ankunft von Anbaupflanzen aus anderen Gegenden siedelten sich nordamerikanische Indianer in Flußtälern an und betrieben dort auf der Grundlage lokaler Anbaugewächse eine intensive Landwirtschaft. Sie waren mithin in der Lage, die Vorzüge der vielversprechendsten Wildpflanzen zu nutzen. Welche Pflanzen kultivierten sie am Ende, und wie schnitt ihr »Gründerpaket« im Vergleich zu dem des Fruchtbaren Halbmonds ab?
Vier »Gründerpflanzen« wurden im Zeitraum zwischen 2500 und 1500 v. Chr. im Osten der USA domestiziert, volle 6000 Jahre nach der Domestikation von Weizen und Gerste in Vorderasien. Eine örtliche Kürbisart lieferte neben kleinen Behältern eßbare Kerne. Die drei übrigen Gründerpflanzen wurden nur wegen der eßbaren Kerne angebaut (Sonnenblume, ein Gänseblümchen-Verwandter namens Sumpfholunder und Gänsefuß, ein entfernter Verwandter des Spinats).
Drei Nahrungspflanzen und ein Gewächs zur Herstellung von Behältern ergaben jedoch noch keine ausreichende Grundlage für den Einstieg in die Landwirtschaft. Zwei Jahrtausende lang fristeten diese Gründerpflanzen deshalb ein relativ unbedeutendes Dasein als Ergänzung des Speiseplans der Indianerstämme im Osten der USA, die sich weiterhin in erster Linie von den Gaben der Natur ernährten (insbesondere von Wild und Wasservögeln, Fisch, Schalentieren und Nüssen). Erst ab 500–200 v. Chr., als noch drei weitere Anbaupflanzen (Knöterich, Maygrass und Little Barley, eine Gerstensorte) hinzugekommen waren, wuchs die Bedeutung der Landwirtschaft.
Ein moderner Ernährungswissenschaftler wäre von den sieben Anbaupflanzen des amerikanischen Ostens hellauf begeistert. Alle besaßen einen hohen Eiweißgehalt (17–32 Prozent gegenüber 8–14 Prozent bei Weizen, 9 Prozent bei Mais und noch weniger bei Gerste und weißem Reis). Zwei von ihnen (Sonnenblume und Sumpfgras) waren überdies sehr ölhaltig (45–47 Prozent). Vor allem Sumpfgras wäre mit 32 Prozent Eiweiß- und 45 Prozent Ölgehalt den Idealvorstellungen eines Ernährungswissenschaftlers sehr nahe gekommen. Wie kommt es dann, daß diese Idealkost von unserem Speiseplan so gänzlich verschwunden ist?
Bei den meisten der genannten Gewächse standen dem Vorteil eines hohen Nährwerts schwere Nachteile gegenüber. Gänsefuß, Knöterich, Little Barley und Maygrass besaßen winzige Samen, deren Volumen nur einem Zehntel dessen von Weizen- und Gerstenkörnern entsprach. Noch schwerer wogen die Nachteile beim Sumpfgras, einem windbestäubten Verwandten des Ambrosienkrauts, das als Heuschnupfenerreger verschrien ist. Wie Ambrosienkraut können auch Sumpfgraspollen Heuschnupfen auslösen, wenn die Pflanze in dichten Beständen wächst. Wen das noch nicht davon abbringt, Sumpfgras anzubauen, dem sei noch gesagt, daß dieses Gewächs einen starken Geruch verströmt, der nicht jedem zusagt, und daß Berührungen zu Hautreizungen führen können.
Kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung gelangten Kulturpflanzen aus Mexiko über Handelsrouten in den Osten der heutigen USA. Mais traf um 200 n. Chr. ein, spielte aber noch etliche Jahrhunderte eine
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