Arm und Reich
(gewöhnlicher) Taro wurden möglicherweise ebenfalls in Neuguinea domestiziert, doch läßt sich darüber nur spekulieren, da die wildwachsenden Vorfahren dieser Gewächse außer in Neuguinea auch in Teilen Südostasiens vorkamen. Zur Zeit fehlen noch Hinweise, die eindeutig darüber Auskunft geben, ob die Domestikation dieser Arten in Südostasien, wie bisher angenommen, oder auch eigenständig in Neuguinea (oder sogar nur dort) erfolgte.
Bei näherer Untersuchung stellt man allerdings fest, daß Neuguineas Flora und Fauna von drei schwerwiegenden Nachteilen geprägt ist. Erstens wurde auf der Insel – im Gegensatz zu Vorderasien, der Sahelzone und China – kein einziges Getreide domestiziert. Mit der starken Konzentration auf Knollen- und Baumfrüchte verkörpert Neuguinea den Extremfall eines Phänomens, das auch in anderen feuchten Tropenregionen (Amazonasbecken, tropisches Westafrika, Südostasien) anzutreffen ist, wo ebenfalls Wurzelfrüchte wichtige Anbaugewächse darstellten; daneben wurden in diesen Regionen aber mindestens zwei Getreidearten (asiatischer Reis und Tränengras, ein besonders großkörniges asiatisches Getreide) domestiziert. Der Grund dafür, daß in Neuguinea keine Landwirtschaft auf Getreidebasis entstand, lag vermutlich darin, daß kein entsprechendes Rohmaterial vorhanden war: Von den 56 großsamigsten Wildgräsern der Welt ist kein einziges auf der Insel heimisch.
Zweitens war unter den Tieren Neuguineas kein einziges größeres Säugetier, das sich zur Domestikation geeignet hätte. Die einzigen Haustiere, die heute auf der Insel gehalten werden, Schwein, Huhn und Hund, trafen innerhalb der letzten Jahrtausende auf dem Weg über Indonesien vom südostasiatischen Festland her ein. Während die Bewohner des Tieflands ihren Eiweißbedarf durch Fischfang decken, leiden die bäuerlichen Hochlandbewohner wegen des niedrigen Eiweißgehalts ihrer Grundnahrungsmittel (Taro und Süßkartoffel) unter chronischem Eiweißmangel. So liegt der Eiweißgehalt von Taro bei nur 1 Prozent, also weit unter dem von Reis und noch weiter unter dem der Weizenkörner und Hülsenfrüchte des Fruchtbaren Halbmonds (8–14 beziehungsweise 20–25 Prozent).
Bei den Kindern im neuguineischen Hochland beobachtet man noch heute geschwollene Bäuche, ein typisches Anzeichen von Eiweißmangel, gepaart mit der Aufnahme großer Nahrungsmengen. Alte und junge Neuguineer verspeisen regelmäßig Mäuse, Spinnen, Frösche und anderes Kleingetier, das in anderen Regionen, wo große Haustiere oder Wild zur Verfügung stehen, als Nahrungsquelle verschmäht wird. Wahrscheinlich ist Eiweißmangel auch die tiefere Ursache des verbreiteten Kannibalismus in den traditionellen neuguineischen Hochlandkulturen.
Und schließlich lieferten die in Neuguinea in früherer Zeit angebauten Wurzelfrüchte nur begrenzte Kalorien- und Eiweißmengen, da sie in den großen Höhen, in denen viele Neuguineer heute leben, nicht gut gedeihen. Vor mehreren Jahrhunderten kam jedoch mit der Süßkartoffel, die ursprünglich aus Südamerika stammte und wahrscheinlich über die Philippinen, wohin sie die Spanier brachten, nach Neuguinea gelangte, eine neue Wurzelfrucht auf die Insel. Verglichen mit Taro und anderen älteren neuguineischen Anbaugewächsen gedeiht die Süßkartoffel auch in höheren Lagen, zeichnet sich durch schnelleres Wachstum aus und liefert höhere Hektarerträge, die noch dazu weniger Arbeitseinsatz erfordern. Die Folge des Imports der Süßkartoffel war eine Bevölkerungsexplosion im Hochland von Neuguinea. Das zeigt, daß die heimischen Kulturpflanzen, die vor dem Eintreffen der Süßkartoffel seit Jahrtausenden angebaut worden waren, sowohl der Bevölkerungsdichte als auch dem Siedlungsgebiet (Höhenlage) Grenzen gesetzt hatten.
Neuguinea bietet somit einen lehrreichen Gegensatz zu Vorderasien. Wie die Jäger und Sammler im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds brachten auch die neuguineischen die Landwirtschaft eigenständig hervor. Ihr Anbausystem litt jedoch unter dem Fehlen domestizierbarer Getreidearten, Hülsenfrüchte und Tiere, dem daraus resultierenden Mangel an eiweißreicher Nahrung im Hochland sowie dem schlechteren Gedeihen heimischer Wurzelfrüchte in höheren Lagen. Dabei können sich die Kenntnisse der Neuguineer über die Wildpflanzen und -tiere ihrer Umwelt mit denen aller anderen Völker der Erde messen. Es darf getrost davon
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