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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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kulturellen Kon­servatismus oder Tabus daran gehindert wurden. Ei­ner wichtigen Ergänzung bedarf diese Aussage jedoch: All dies gilt nur bei langfristiger und großräumiger Be­trachtung. Jeder Kenner der Geschichte menschlicher Kulturen kann nämlich zahllose Beispiele anführen, bei denen Anbaupflanzen, Haustiere und andere Neuerun­gen abgelehnt wurden, obwohl sie durchaus nützlich ge­wesen wären.
    Natürlich hege ich nicht die naive Vorstellung, daß jede Gesellschaft sofort jede Neuerung übernimmt, die für sie von Vorteil wäre. Tatsache ist vielmehr, daß bei Betrachtung ganzer Kontinente und anderer geogra­phischer Großräume mit Hunderten konkurrierender Gesellschaften einige dieser Gesellschaften eine aufge­schlossenere Haltung gegenüber Neuerungen einneh­men und andere eine ablehnendere. Die aufgeschlosse­neren Gesellschaften, die sich für die Übernahme neuer Anbaupflanzen, Haustiere oder Techniken entscheiden, sind wahrscheinlich diejenigen, die sich besser ernäh­ren, rascher vermehren und am Ende innovationsscheue Gesellschaften verdrängen oder gar vernichten. Wir ha­ben es hier mit einem wichtigen Phänomen zu tun, des­sen Erscheinungsformen weit über die Einführung neu­er Kulturpflanzen hinausgehen und auf das wir in Ka­pitel 12 zurückkommen werden.
    Überbetont werden sollten auch nicht die Beschrän­kungen, die sich aus dem vorhandenen Angebot an Wild­pflanzen und -tieren für die Entstehung der Landwirt­schaft ergeben. Ich sage ausdrücklich nicht, daß die Landwirtschaft in jenen Regionen, in denen sie bis in die jüngere Vergangenheit nicht eigenständig hervor­gebracht wurde, nie von selbst entstanden wäre. Wenn heute davon gesprochen wird, daß die australischen Ab­origines bei Anbruch der Neuzeit noch in der Steinzeit lebten, steht dahinter oft die Vorstellung, daß dieser Zu­stand ewig fortgedauert hätte.
    Um den darin liegenden Trugschluß zu begreifen, stellen wir uns einmal vor, ein Besucher aus dem All würde der Erde im Jahr 3000 v. Chr. einen Besuch abstatten. Der Außerirdische fände im Osten der USA keinerlei Spuren der Landwirtschaft vor, weil diese in dem Gebiet erst um 2500 v. Chr. auf den Plan trat. Zöge der Besucher im Jahr 3000 v. Chr. den Schluß, negative Merkmale der Pflan­zen- und Tierwelt im Osten der USA würden die Ent­stehung der Landwirtschaft dort für alle Zeit unmög­lich machen, hätten ihn die Ereignisse im Jahrtausend darauf Lügen gestraft. Selbst ein Besucher Vorderasiens hätte zu dem Fehlurteil verleitet werden können, diese Region sei für die Landwirtschaft verloren, wenn seine Visite im Jahr 9500 v. Chr. und nicht erst 8500 v. Chr. stattgefunden hätte.
    Meine These lautet demnach nicht, daß es in Kalifor­nien, Australien, Westeuropa und all den anderen Gebie­ten, in denen die Landwirtschaft nicht unabhängig ent­stand, keine domestizierbaren Arten gab und daß dort für immer nur Jäger und Sammler gelebt hätten, wenn keine fremden Völker oder an fremden Orten domesti­zierten Pflanzen und Tiere eingetroffen wären. Vielmehr stelle ich fest, daß zwischen den Regionen große Unter­schiede in der Zahl der vorhandenen domestizierbaren Arten bestanden, daß sich die Regionen entsprechend auch im Zeitpunkt der Entstehung der Landwirtschaft unterschieden und daß in einigen fruchtbaren Regio­nen bis in die Neuzeit hinein keine Nahrungsprodukti­on unabhängig entstand.
    Australien, der vermeintlich »rückständigste« Konti­nent, liefert hierfür ein gutes Beispiel. Im mit Wasser reich gesegneten Südosten, dem für die Landwirtschaft am besten geeigneten Teil Australiens, schlugen örtliche Aborigines-Gesellschaften offenbar in den letzten Jahr­tausenden einen Weg ein, der irgendwann einmal zur Nahrungsproduktion geführt hätte. So hatten sie bereits Winterdörfer errichtet und damit begonnen, ihre Um­welt systematisch zu bewirtschaften, indem sie Fischfal­len, Netze und sogar lange Kanäle bauten. Hätten die Europäer Australien nicht 1788 kolonisiert und dieser Entwicklung ein Ende gesetzt, wären australische Abo­rigines möglicherweise binnen weniger Jahrtausende zu Nahrungsproduzenten geworden, mit Fischteichen und Feldern, auf denen domestizierte australische Jamswur­zeln und kleinsamige Gräser wuchsen.
    Vor diesem Hintergrund können wir nun auch die in der Überschrift dieses Kapitels gestellte Frage beantwor­ten, ob nämlich der Grund dafür, daß die nordameri­kanischen Indianer keine Äpfel

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