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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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abwandten. Das beweist zu­gleich, daß kein kultureller Konservatismus die ameri­kanischen Indianer davon abhielt, den Wert einer An­baupflanze, die ihnen zu Gesicht kam, zu erkennen und sie zu übernehmen. Ähnlich wie in Neuguinea war auch im Osten der heutigen USA der beschränkte Erfolg der eigenständigen Landwirtschaft nicht der indianischen Bevölkerung zuzuschreiben, sondern gänzlich der ame­rikanischen Fauna, Flora und Umwelt.
    Wir haben bisher drei Regionen mit unabhängig ent­standener Landwirtschaft erörtert. Von ihnen ist der Fruchtbare Halbmond der eine Extremfall, den ande­ren bilden Neuguinea und der Osten der USA. Wir ha­ben gesehen, daß die Völker Vorderasiens mit Abstand als erste mit der Domestikation von Pflanzen began­nen. Sie domestizierten weit mehr Pflanzen, viel ertrag­reichere oder nützlichere Arten und ein erheblich brei­teres Spektrum von Anbaugewächsen. Zudem entwickelten sie intensivere Formen der Landwirtschaft, die höhere Bevölkerungsdichten ermöglichten. Das alles geschah in größerem Tempo als anderswo, was letzten Endes dazu führte, daß die Völker Vorderasiens mit hö­her entwickelter Technik, komplexeren Formen politi­scher Organisation und einer größeren Zahl epidemi­scher Krankheiten, mit denen sie andere Völker anstecken konnten, ins moderne Zeitalter eintraten.
    Wir haben festgestellt, daß diese Unterschiede zwi­schen dem Bereich des Fruchtbaren Halbmonds, Neugui­nea und dem Osten der USA eindeutig aus der vorhande­nen Ausstattung mit Wildpflanzen und -tieren resultier­ten, die zur Domestikation zur Verfügung standen, nicht aber aus besonderen Merkmalen der dortigen Völker. Von außen eingeführte ertragreichere Kulturpflanzen (Süßkartoffel in Neuguinea, mexikanisches Pflanzentrio im Osten der USA) wurden prompt übernommen, mit der Folge einer Intensivierung der Landwirtschaft und eines steilen Bevölkerungsanstiegs. Entsprechend gehe ich davon aus, daß in Regionen der Erde, in denen die Landwirtschaft nicht unabhängig entstand – wie Kali­fornien, Australien, die argentinische Pampa und West­europa – wahrscheinlich noch weniger domestizierbare Wildpflanzen und -tiere vorkamen als in Neuguinea und im Osten der USA, wo die Landwirtschaft wenigstens ein bescheidenes Niveau erreichte. Mark Blumlers be­reits zitierte Analyse der weltweiten Verbreitung groß­samiger Wildgräser sowie die Untersuchung der Ver­breitung großer Säugetiere, die Gegenstand des näch­sten Kapitels sein wird, ergeben übereinstimmend, daß in all jenen Regionen, in denen die Landwirtschaft gar nicht entstand oder nie über das Anfangsstadium hin­auskam, ein Mangel an Wildvorfahren domestizierba­rer Vieh- und Getreidearten herrschte.
    Erinnern wir uns, daß in der Anfangsphase der Land­wirtschaft auch die Konkurrenz zwischen Nahrungspro­duktion auf der einen und Jagd- und Sammelwirtschaft auf der anderen Seite eine Rolle spielte. Man könnte deshalb fragen, ob nicht überall dort, wo die Landwirt­schaft nur langsam oder gar nicht entstand, ein besonde­rer Ressourcenreichtum, der günstige Voraussetzungen für die Jagd- und Sammelwirtschaft schuf, die Ursache war, nicht aber eine besonders geringe Zahl domestizier­barer Arten. In Wirklichkeit war es so, daß die meisten dieser Regionen Jägern und Sammlern besonders wenig zu bieten hatten, da die meisten großen Säugetiere Au­straliens und Nord- und Südamerikas (anders als in Eu­rasien und Afrika) gegen Ende des Eiszeitalters ausge­storben waren. Die Landwirtschaft wäre somit in diesen Regionen auf noch weniger Konkurrenz gestoßen als in Vorderasien. Erstklassige Jagdreviere können demnach nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Landwirtschaft nicht entstand oder in den Kinderschu­hen verharrte.
    Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, daß weder die Be­reitschaft zur Übernahme besserer Anbaupflanzen und Haustiere noch die Beschränkungen aufgrund des loka­len Angebots an Wildpflanzen und -tieren überbetont werden sollten. Beides sind keine absoluten Gegeben­heiten. Wir haben bereits zahlreiche Beispiele erörtert, bei denen ertragreichere Anbaupflanzen fremder Her­kunft übernommen wurden. Daraus kann geschlossen werden, daß Völker in der Lage sind, nützliche Pflanzen zu erkennen, daß sie deshalb besser geeignete domesti­zierbare Pflanzen – sofern vorhanden – wahrscheinlich auch erkannt hätten und nicht durch

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