Arm und Reich
Ost-West-Ausbreitung in Eurasien auch mit dem schwierigen Vordringen entlang der Nord-Süd-Achse des amerikanischen Doppelkontinents. Die Entfernung zwischen Mesound Südamerika – sagen wir, zwischen den Hochlandgebieten von Mexiko und Ecuador – beträgt weniger als 2000 km, was auf Eurasien übertragen in etwa der Entfernung zwischen dem Balkan und Mesopotamien entspricht. Der Balkan, der für die meisten Anbaupflanzen und Haustiere aus Mesopotamien ideale Voraussetzungen bot, empfing das Landwirtschaftsbündel aus Vorderasien innerhalb von 2000 Jahren, nachdem es dort geschnürt worden war. Durch den rascheren Verlauf der Ausbreitung entging den Bewohnern des Balkans die Gelegenheit, die gleichen und verwandte Arten ihrer Region selbst zu domestizieren. Hochlandgebiete in Mexiko und den Anden wären ganz ähnlich für viele Kulturpflanzen und Haustiere der jeweils anderen Region geeignet gewesen. Einige wenige Pflanzen – hier sei insbesondere Mais aus Mexiko genannt – fanden denn auch schon in präkolumbianischer Zeit den Weg in die andere Region.
Andere Anbaupflanzen und Haustiere schafften den Weg von Mesoamerika nach Südamerika oder umgekehrt dagegen nicht. Das kühle Hochland von Mexiko hätte ideale Bedingungen für die Haltung von Lamas oder Meerschweinchen und den Anbau von Kartoffeln – alle wurden im kühlen Hochland der Anden domestiziert – geboten. Der Weg nach Norden wurde jedoch durch die feuchtheißen Tieflandgebiete Mittelamerikas, die als Barriere dazwischenliegen, versperrt. Rund 5000 Jahre nach der Domestikation des Lamas in den Anden waren die Olmeken, Mayas, Azteken und all die anderen Kulturen Mexikos immer noch ohne Packtiere und eßbare Haustiere mit Ausnahme von Hunden.
Umgekehrt hätten in Mexiko domestizierte Truthähne und im Osten der USA domestizierte Sonnenblumen in den Anden möglicherweise gut gedeihen können, wäre ihnen der Weg nach Süden nicht wiederum durch die tropische Klimazone verwehrt worden. Mais, Kürbisse und Bohnen wurden nach ihrer Domestikation in Mexiko mehrere tausend Jahre lang durch eine Nord-Süd-Entfernung von nur 1100 km am Erreichen des amerikanischen Südwestens gehindert, während mexikanische Paprikas in vorgeschichtlicher Zeit überhaupt nicht bis dorthin vordrangen. Mais benötigte nach seiner Domestikation in Mexiko mehrere Jahrtausende, um sich bis in den Osten Nordamerikas mit seinem kühleren Klima und der kürzeren Vegetationsperiode auszubreiten. Irgendwann in den beiden ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung tauchte er dort schließlich auf, spielte jedoch lange Zeit noch eine untergeordnete Rolle. Erst ab 900 n. Chr., als mittlerweile widerstandsfähigere, an das nördliche Klima angepaßte Maissorten gezüchtet worden waren, leistete der Maisanbau einen Beitrag zum Aufblühen der am höchsten entwickelten Indianerkultur Nordamerikas, der Mississippi-Kultur – gerade noch rechtzeitig, bevor ihr von europäischen Krankheiten, die von Kolumbus und seinen Nachfolgern eingeschleppt wurden, gleich wieder der Garaus gemacht wurde.
Wie wir uns erinnern, wissen wir aus genetischen Untersuchungen, daß die meisten Anbaugewächse aus Vorderasien auf eine einzige Domestikation zurückgehen, deren Ergebnis sich so rasch verbreitete, daß es möglichen Domestikationen der gleichen oder verwandter Arten in anderen Gebieten zuvorkam. Demgegenüber gehören viele der weitverbreiteten amerikanischen Kulturpflanzen verwandten Arten oder sogar genetisch unterschiedlichen Varietäten an, die unabhängig voneinander in Mesoamerika, Südamerika und im Osten der heutigen USA domestiziert wurden. Mit eng verwandten Arten haben wir es in unterschiedlichen Regionen bei den Fuchsschwanzgewächsen, Bohnen, Paprikas, Kürbissen, Baumwoll- und Tabaksorten zu tun, mit unterschiedlichen Varietäten dagegen bei Gartenbohnen, Limabohnen, den Paprikas Capsicum annuum/chinense und dem Kürbis Cucurbita pepo . Dieses Resultat wiederholter unabhängiger Domestikationen ist ein weiteres Indiz für das langsame Tempo der Ausbreitung von Kulturpflanzen entlang der amerikanischen Nord-Süd-Achse.
Afrika und der amerikanische Doppelkontinent sind also die beiden größten Landmassen mit dominierender Nord-Süd-Achse und entsprechend langsamer Ausbreitung von Haustieren und Kulturpflanzen. Daneben gibt es jedoch noch weitere Regionen, in denen die langsame Nord-Süd-Ausbreitung ebenfalls eine Rolle spielte,
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