Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
hier finden würde. Carter McBride wird vermißt. Der Junge ist inzwischen seit einigen Stunden nirgendwo mehr gesehen worden. Jemand hat gesagt, er hätte gesehen, wie der Junge hinter diesem unerzogenen Köter her in den Dschungel gerannt ist. Ich stelle eine Suchtruppe zusammen. Sind Sie dabei?« Rai Molvi hatte den Geistlichen bis jetzt nicht eines einzigen Blickes gewürdigt.
»Ja«, sagte sie. »Ich muß nur vorher jemanden suchen, der inzwischen auf Jay aufpaßt.«
»Mrs. Cranthorp kümmert sich darum. Sie sammelt die Kinder ein und versorgt sie mit einem Mittagessen. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Halle.« Er wandte sich um und wollte gehen.
»Ich komme auch mit«, sagte Horst.
»Ganz, wie Sie meinen«, sagte Rai und eilte nach draußen.
»Nun ja, großartig beeindruckt haben Sie ihn nicht gerade«, sagte Ruth.
»Bitte, Ruth! Sie müssen von hier fort!«
»Darüber reden wir morgen weiter. Jetzt muß ich helfen, ein vermißtes Kind zu finden.« Sie hielt inne. »Verdammt. Carter ist ungefähr im gleichen Alter wie Jay.«
Das langgezogene Pfeifen brachte sie alle zum Laufen. Arnold Travis saß zusammengesunken am Fuß eines Mayope-Stamms. Er starrte gebrochen vor sich auf den Boden. Die silberne Pfeife hing noch in einem Mundwinkel.
Die Siedler trafen in Zweiergruppen ein. Sie brachen durch Unterholz und Schlingpflanzen und scheuchten Scharen von Vögeln auf, die kreischend in den glühend heißen Himmel schossen. Der Anblick, der sich den Ankömmlingen inmitten der kleinen Lichtung bot, ließ sämtliche Kraft aus ihren Beinen schwinden. Ein Halbkreis bildete sich um die große Kirscheiche, und verzweifelte Gesichter starrten auf die gräßliche Szene.
Powel Manani war einer der letzten, die auf der Lichtung eintrafen. Vorix folgte ihm leichtfüßig durch das Unterholz. Die Sinneswahrnehmungen des Hundes sickerten in Mananis Verstand, schwarzweiße Bilder, scharfe Geräusche, ein unglaubliches Spektrum von Gerüchen. Ein überwältigender Duft nach Blut hing in der Luft.
Manani bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die schockierte Menge. Er erblickte die Kirscheiche und das, was an ihren Stamm gebunden war.
»Mein Gott!« Er schlug die Hand vor den Mund. Irgend etwas tief in ihm wollte einen urzeitlichen Schrei ausstoßen, immer weiter und weiter schreien, bis der Schmerz und das Entsetzen über den grausigen Anblick verklungen waren.
Carter McBride hing mit dem Kopf nach unten am Baum. Man hatte seine Füße mit getrockneten Reben am Stamm festgebunden, daß es aussah, als stünde er auf dem Kopf. Die Arme waren weit ausgebreitet und wurden von zwei Spießen in der Waagerechten gehalten, die durch seine Handgelenke gingen. Die tiefen Wunden bluteten nicht mehr. Winzige Insekten wimmelten im Gras unter Carters Kopf und fraßen gierig die dunkle, geronnene Flüssigkeit.
Dimitri McBride machte zwei torkelnde Schritte auf seinen Sohn zu, dann sank er wie zum Gebet in die Knie. Er blickte sich verwirrt im Halbkreis aschfahler Gesichter um. »Ich verstehe das nicht. Carter war doch erst zehn Jahre alt. Wer hat das getan? Ich verstehe das einfach nicht! Bitte sagt es mir.« Er sah seinen eigenen Schmerz in den weinenden Augen ringsum. »Warum nur? Warum?«
»Die Zettdees«, sagte Horst leise. Die leeren Augen des kleinen Carter starrten ihn an und zwangen ihn zum Reden. »Es ist das umgedrehte Kreuz«, sagte er mit pedantischer Lehrerhaftigkeit, denn er spürte, wie wichtig es war, in dieser Angelegenheit keinen Fehler zu begehen. Wie wichtig es war, daß die anderen verstanden. »Das Gegenteil eines Kruzifixes. Sie beten den Lichtbruder an, verstehen Sie? Der Lichtbruder ist das genaue Gegenteil unseres Herrn Jesus Christus, und deswegen führen die Sekten diese Gotteslästerung durch. Es ist sehr logisch, wirklich.« Horst bekam kaum Luft. Er hechelte, als wäre er eine lange Strecke gelaufen.
Dimitri McBride warf sich mit der Wucht einer Dampframme auf ihn. Der Geistliche wurde nach hinten und zu Boden geschleudert, und McBride saß rittlings auf ihn. »Sie haben es gewußt! Sie haben es gewußt!« Seine Finger schlossen sich wie Schraubstöcke um Horsts Hals. »Das war mein Sohn! Und Sie haben es die ganze Zeit gewußt!« Horsts Kopf wurde nach oben gerissen und wieder in den schwammigen Untergrund geschleudert. »Er könnte noch leben, wenn Sie uns etwas gesagt hätten! Sie sind schuld an seinem Tod! Sie haben ihn umgebracht! Sie haben ihn umgebracht!«
Horst wurde schwarz
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