Armageddon 04 - Der Neutronium-Alchimist
Dariat sprang die nach unten führende Treppe hinunter und rannte weiter, so schnell er konnte. Er kam unten an, als die Laster draußen bremsten. Bonney sprang ab und rannte auf den Eingang zu. In der Station wartete ein Waggon auf Dariat, eine glänzend weiße Aluminiumkugel. Dariat hielt schwer atmend inne und starrte auf die offene Tür.
– Steig ein!
Rubras mentale Stimme enthielt eine unüberhörbare Warnung, die Dariat nicht glauben wollte. – Wenn du ein linkes Spiel mit mir spielst, kehre ich zurück. Ich schwöre es bei Anstid, ich komme zurück und mache dich fertig!
– Stell dir vor, wie ich vor Angst bebe. Ich hab’ dir schon einmal gesagt, ich brauche dich gesund und bei Kräften. Und jetzt steig endlich ein.
Dariat schloß die Augen und trat einen Schritt vor, direkt in den Waggon. Hinter ihm schloß sich zischend die Tür, und er spürte eine schwache Vibration, als das Gefährt entlang der Schiene beschleunigte. Er öffnete die Augen.
– Siehst du? spottete Rubra. – Offensichtlich bin ich doch kein böser Geist, der kleine Jungs erschreckt.
Dariat setzte sich und atmete ein paarmal tief durch, um sein rasendes Herz zu beruhigen. Er benutzte die sensitiven Zellen der Station, um zu beobachten, wie eine kurz vor dem Schlaganfall stehende Bonney Lewin von der leeren Plattform sprang und mit ihrer Enfield in den dunklen Tunnel feuerte. Sie kreischte obszöne Flüche und war außer sich vor Wut. Die Jäger in ihrer Begleitung hielten sich wohlweislich zurück. Einer ihrer Stiefel ruhte auf der magnetischen Führungsschiene.
– Grill sie! sagte Dariat. – Jetzt!
– O nein. Ich habe etwas viel Besseres vor. Auf diese Weise finde ich gleichzeitig heraus, ob die Besessenen Herzattacken erleiden können.
– Du bist ein verdammter Bastard!
– Das ist korrekt. Und um es zu beweisen, werde ich dir jetzt Anastasia Rigels kleines Geheimnis zeigen. Die eine Sache, die sie dir niemals verraten hat.
Dariats Mißtrauen war augenblicklich wieder wach. – Lügen. Nichts als Lügen!
– Diesmal nicht. Und sag mir nicht, du möchtest die Wahrheit nicht wissen. Ich kenne dich, Dariat, durch und durch. Ich habe dich immer gekannt, Junge. Ich weiß, was sie dir bedeutet, wieviel sie dir bedeutet. Deine Erinnerung an sie war stark genug, deinen Haß dreißig Jahre lang am Leben zu erhalten. Das ist fast übermenschlich, Dariat. Ich respektiere das, ehrlich. Aber es macht dich verletzlich; du bist weit offen für mich. Weil du es wissen willst, nicht wahr? Ich weiß etwas, oder habe etwas gehört oder gesehen, wovon du nichts weißt. Ein kleiner Ausschnitt aus Anastasia Rigels Leben, von dem du nichts weißt. Und du wärst nicht fähig, mit diesem Wissen zu leben.
– Bald werde ich sie selbst fragen. Anastasias Seele wartet auf mich, im Jenseits. Wenn ich erst mit dir abgerechnet habe, gehe ich zu ihr, und wir werden wieder zusammen sein.
– Bald ist es zu spät.
– Du bist unglaublich, weißt du das?
– Gut. Ich bringe dich hin.
– Was auch immer du willst. Dariat verbarg seine Müdigkeit hinter diesem Gedanken und tat nach außen völlig unbesorgt. Dahinter jedoch, hinter dem mutigen Gehabe und der äußerlichen Zuversicht, duckte sich sein jugendliches, verängstigtes Selbst. Jenes Selbst, das Anastasia so sehr anbetete. Plötzlich tat sich eine Möglichkeit auf, eine unwahrscheinliche Chance, daß dieses Bild von ihr nicht stimmte, daß sie nicht ehrlich zu ihm gewesen war. Der Zweifel nagte in ihm, fraß sich hinein, schwächte die Entschlossenheit, die ihm so schrecklich lange Zeit Kraft gegeben hatte.
Anastasia hätte ihm niemals etwas verheimlicht. Oder doch? Sie hatte ihn geliebt, hatte es selbst geschrieben. Es war das letzte, das sie in ihrem Leben geschrieben hatte.
Rubra steuerte den Waggon zu einem Sternenkratzerfoyer und hielt dort an. Die Tür glitt auf. – Es wartet im zweiunddreißigsten Stock.
Dariat blickte vorsichtig in die kleine Vakstation hinaus und den weiten Gang entlang, der in das Foyer selbst führte. Sein Verstand spürte die Gedanken der Besessenen, die draußen vor dem Foyer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Niemand zeigte das geringste Interesse an ihm. Er huschte durch die Halle zu der Reihe von Aufzügen im Zentrum und erreichte sie unbemerkt.
Der Lift entließ ihn im Vestibül des zweiunddreißigsten Stocks. Es war eine völlig normale Wohnsektion; vierundzwanzig mechanische Türen, drei Muskelmembranen für die Treppenhäuser. Eine der mechanischen
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