Armageddon 05 - Die Besessenen
selbst für Genevieve zu bezahlen. Das wäre billig gewesen.
Als er diesmal in die Lobby des Ritz spazierte, lächelte der Concierge freundlich. Andy hatte sich einen Smoking von jemandem geliehen, für den er vor ein paar Monaten einige Reparaturen durchgeführt hatte; mitternachtsschwarz mit einem halbwegs modischen Schnitt. Das weiße Hemd hatte er sich von einem Kollegen ausgeborgt, zusammen mit der roten Samtfliege. Die schwarzen Schuhe stammten von einem Nachbarn. Selbst das seidene Taschentuch in seiner Brusttasche stammte von seiner Mutter. Genaugenommen gehörte ihm nur ein einziges der Kleidungsstücke auf seinem Leib, und das waren seine Boxershorts. Dieses Risiko konnte er eingehen; irgendwie war Andy ziemlich sicher, daß Louise am Ende des Abends nicht mit ihm schlafen würde.
Sieben Uhr, und sie war immer noch nicht da.
Sechs Minuten nach sieben, und er überlegte bereits, ob er die Rezeption bitten sollte, auf ihrem Zimmer anzurufen.
Acht Minuten, und er wußte, daß er versetzt worden war. Kaum überraschend.
Die Aufzugstüren öffneten sich. Louise trug ein langes Abendkleid aus dunkelblauem Stoff, dessen Schnitt von einer schmalen rostfarbenen Weste noch betont wurde. Sie war nicht mehr der unbekümmerte Teenager, der hilfesuchend in Judes Eworld geschlendert war; ihre Haltung hatte wenigstens zwanzig Jahre hinzugewonnen. Andy bemühte sich erst gar nicht, dieses Bild in einer Speicherzelle aufzuzeichnen. Kein Programm der Welt konnte diese Mischung aus Schönheit und Raffinesse einfangen. Er wußte, daß er diesen Augenblick für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen würde.
Als er sie anlächelte, verspürte er beinahe so etwas wie Trauer. »Danke, daß Sie gekommen sind.«
Sie reagierte unsicher; irgendwie spürte sie, wie unendlich wichtig diese Sache für ihn geworden war. »Ich fühle mich geschmeichelt, von Ihnen eingeladen zu werden, Andy.« Sie gab Genevieve einen Schubs.
»Danke sehr, daß Sie mich mitkommen lassen«, sagte das kleine Biest, und zum ersten Mal deutete nichts in ihrer Stimme auf Falschheit.
»Das ist schon in Ordnung«, antwortete Andy. »Hey, Sie sehen großartig aus. Lassen Sie sich doch einmal von allen Seiten ansehen!«
Genevieve lächelte genießerisch und streckte die Arme aus, als sie sich einmal um die eigene Achse drehte. Der Saum ihres Kleides schwang herum. Sie trug ein dünnes Kettchen um den Hals, und der dunkle Anhänger tanzte auf ihrer Haut. Andy blickte Louise direkt in die Augen. »Noch fünf Jahre, und die Jungs wissen nicht, was sie getroffen hat.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Genevieve.
»Er meint, daß du sehr schön bist«, sagte Louise.
»Oh.« Genevieve errötete, doch sie schaffte es, Andy anzugrinsen.
Es war im Grunde genommen gar nicht so schlecht, daß sie mitgekommen war, fand Andy. Genevieve nahm viel Spannung aus der Begegnung, wie sie unweigerlich aufgekommen wäre, hätte Andy den ganzen Abend mit Louise allein verbracht. So hieß es nicht Junge gegen Mädchen, und er mußte sie nicht mit jedem Wort beeindrucken. Was, wie Andy sich freimütig eingestand, zu einem totalen Desaster geführt hätte.
Er zahlte die kurze Taxifahrt hinüber zum Covent Garden. Das Lake Isle war eines von sicher hundert Restaurants in dieser Gegend. Eine antike Fassade mit einer kleinen Bar dahinter, an die sich ein Speisesaal anschloß, der angesichts der Nachbargebäude geradezu unglaublich groß war und zu sehr glänzte, um echt antik zu sein. Als sie eintraten, tippte Louise auf Andys Schulter. »Wir machen getrennte Kasse heute abend, keine Diskussionen. Ich habe schließlich Genevieve mitgebracht. Alles andere wäre unfair.«
Der Oberkellner vermittelte sie an einen Kellner, der sie zu einem Tisch führte. Louise blickte sich um und kam zu der Erkenntnis, daß sie und ihre Schwester wahrscheinlich eine Spur zu schick angezogen waren. Aber sie hatte die Gelegenheit nicht versäumen wollen, ihr blaues Kleid zu tragen, und Andy beschwerte sich gewiß nicht. Wenn Augen Hände wären, hätte er sie inzwischen längst zerquetscht.
»Haben Sie ihren Freund gefunden?« fragte er, nachdem sie Platz genommen hatten.
»Noch nicht. Aber dieser Detektiv, den Sie mir empfohlen haben, macht einen sehr kompetenten Eindruck. Nochmals danke sehr.«
Die Weinkarte wurde gereicht. Louise blickte sehnsüchtig auf die Norfolk Tears; sie konnte die Preise kaum glauben. Sie überließ Andy die Auswahl, und er entschied sich für einen trockenen Weißwein
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