Armageddon 05 - Die Besessenen
haben Glück, weil die Polizei des O’Neill-Halo dadurch gegenwärtig sehr diskret arbeiten kann.«
»Und?« fragte Louise ruhig. Aus welchem Grund auch immer, sie spürte keine Furcht – hätte man sie wirklich verurteilen wollen, würden weder sie noch Genevieve hier gesessen haben.
»Und es ist Ihnen ja wohl klar, daß wir Sie nicht hier oben bei uns haben wollen, nach dem, was Sie getan haben. Außerdem fehlen Ihnen die grundlegenden technischen Kenntnisse, um in einer Asteroidensiedlung zu überleben. Und das macht Sie zu einer Belastung. Unglücklicherweise ist gegenwärtig eine interstellare Quarantäne in Kraft, was bedeutet, daß wir Sie nicht nach Tranquility abschieben können, wo ihr Verlobter sich um sie kümmern kann. Damit bleibt Ihnen nur eine Möglichkeit: die Erde. Sie besitzen Geld; Sie können es sich leisten, bis zum Ende der Krise dort zu bleiben.«
Louise blickte zu Genevieve, die betont desinteressiert die Lippen zusammengepreßt hatte.
»Ich habe keine Einwände«, sagte Louise.
»Und wenn, wäre mir das auch egal«, sagte Brent Roi. »Sie haben nämlich keinerlei Mitspracherecht in dieser Sache. Sie werden nicht nur deportiert, sondern offiziell polizeilich verwarnt. Sie haben eine ungesetzliche Handlung begangen, die ganz High York hätte gefährden können, und das wird in das Kriminalregister von GovCentral eingetragen. Das Verfahren ist vorübergehend ausgesetzt. Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft auf dem Staatsgebiet von GovCentral eine weitere kriminelle Handlung begehen, gleich welcher Natur, wird auch dieser Fall erneut aufgenommen und zur Anklage gebracht. Haben Sie das verstanden?«
»Ja«, flüsterte Louise.
»Sie verursachen ein einziges weiteres Problem, und man wird Sie aus der Arkologie werfen und die Tür hinter ihnen versperren.«
»Was ist mit Fletcher?« fragte Genevieve.
»Was soll mit ihm sein?« entgegnete Brent Roi.
»Kommt er mit uns zur Erde hinunter?«
»Nein, Gen«, sagte Louise. »Er kommt nicht mit.« Sie bemühte sich, die Sorge aus ihrer Stimme zu halten. Fletcher hatte ihr und Genevieve so sehr geholfen; es fiel ihr immer noch schwer, von ihm als einem Possessor zu denken, einem Feind. Das letzte Mal hatte sie ihn gesehen, als er aus der großen Schleusenkammer abgeführt worden war, wo man sie gestellt und verhaftet hatte. Ein verzweifelt ermutigendes Lächeln auf den Lippen, das ihr gegolten hatte. Selbst in der Niederlage hatte Fletcher seine edle Gesinnung nicht verloren.
»Deine große Schwester hat recht«, wandte sich Brent Roi an Genevieve. »Hör auf, über Fletcher Christian nachzudenken.«
»Haben Sie ihn getötet?«
»Das dürfte schwerfallen. Er ist bereits tot.«
»Haben Sie ihn getötet?«
»Im Augenblick ist er äußerst kooperativ. Er erzählt uns alles über das Jenseits, und er hilft unseren Wissenschaftlern, die Natur seiner energistischen Fähigkeiten zu verstehen. Wenn wir alles erfahren haben, was er weiß, werden wir ihn in Null-Tau bringen. Ende der Geschichte.«
»Dürfen wir ihn noch einmal sehen?« fragte Louise.
»Nein.«
Die beiden Polizeibeamtinnen eskortierten Louise und Genevieve auf direktem Weg zum nicht-rotierenden Raumhafen hinauf. Sie erhielten zwei gewöhnliche Passagen an Bord der Scher, einem interorbitalen Personenschiff. Die interstellare Quarantäne hatte bisher noch keine größeren Auswirkungen auf den gewaltigen Verkehr zwischen Erde, Mond und O’Neill-Halo gehabt. Die Exporte aus dem irdischen Sonnensystem hinaus machten maximal fünfzehn Prozent des gesamten Schiffsverkehrs aus. Die interplanetaren Flüge waren so zahlreich wie eh und je.
Sie trafen zwölf Minuten vor dem planmäßigen Start der Scher in der Abflughalle ein. Die Polizei hatte ihnen ihr Gepäck und ihre (inzwischen echten) Pässe zurückgegeben, zusammen mit einer Einreisegenehmigung für die Erde, und sie hatten ihre Prozessorblocks wieder. Zum Schluß händigten sie Louise auch noch ihre Jupiter-Kreditdisk aus.
In Louise regte sich der Verdacht, daß sie und ihre Schwester absichtlich so durch die gesamte Prozedur gehetzt wurden, um sie gefügig zu halten und nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Nicht, daß Louise gewußt hätte, wie sie den Behörden Probleme bereiten konnte – im Gegensatz zu einem guten Anwalt. Er hätte bestimmt Verfahrensfehler gefunden. Aber das war Louise egal.
Die Lebenserhaltungskapsel der Scher war von der gleichen zylindrischen Konstruktion wie die der Jamrana, nur daß
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