Armageddon 06 - Der nackte Gott
zu fassen und zog sanft, um die letzten Augenblicke für die erschöpfte Mutter erträglicher zu machen. Anschließend war es die übliche hektische Routine von Durchschneiden der Nabelschnur und Verknoten. Véronique schluchzte voller Glück. Leute kamen mit Handtüchern herein und lächelten beglückwünschend. Das Baby abwischen. Den Mutterkuchen herausholen. Endloses Aufwischen.
Neu war, daß sie ein wenig energistische Kraft zum Heilen der kleinen Risse in Veroniques Vaginawänden einsetzte. Nicht zu viel; Carmitha machte sich immer noch Sorgen wegen der langfristigen Nebenwirkungen, die selbst schwache Heilversuche auslösen mochten. Wenigstens mußte sie nicht nähen. Als Carmitha schließlich mit dem Aufräumen fertig war, lag Véronique auf sauberen Laken und hielt ihre kleine Tochter mit der klassischen Aura erschöpfter Glückseligkeit in den Armen. Und einem ruhigen Bewußtsein.
Carmitha studierte sie einen Augenblick lang schweigend. Nichts mehr war zu spüren von der inneren Zwietracht und Pein, verursacht von einer Possessorseele, die ihren Wirt rücksichtslos vergewaltigte. Irgendwann im Verlauf der Schmerzen und des Blutes und der Freude waren die beiden Eins geworden, waren voller Glückseligkeit über das neue Leben auf jeder Ebene miteinander verschmolzen.
Véronique lächelte scheu zu Carmitha auf. »Ist sie nicht wundervoll?« fragte sie und blickte auf ihr verschlafenes Töchterchen. »Ich bin dir ja so dankbar.«
Carmitha setzte sich auf die Bettkante. Es war unmöglich, das kleine verschrumpelte Gesicht nicht anzulächeln, so unschuldig und so überwältigt von seiner brandneuen Umgebung. »Sie ist wundervoll. Wie wirst du sie nennen?«
»Jeanette. Diesen Namen hat es in unser beider Familien gegeben.«
»Ich verstehe. Das ist gut.« Carmitha küßte das Baby auf die Stirn. »Ihr beide werdet euch jetzt ein wenig ausruhen. Ich komme in einer Stunde oder so wieder und sehe nach euch.«
Sie wanderte durch das Herrenhaus und in den Hof hinaus. Dutzende von Leuten hielten sie unterwegs an und erkundigten sich, wie es gelaufen war und ob Mutter und Kind wohlauf waren. Sie war glücklich, endlich einmal gute Nachrichten überbringen zu können und dadurch zu helfen, einen Teil der Sorge und der Anspannung zu mildern, der über Cricklade lastete.
Luca fand sie in der offenen Tür an der Rückseite ihres Wohnwagens, wo sie tiefe Züge von einem Joint inhalierte. Er lehnte sich gegen das große hintere Rad und verschränkte die Arme vor der Brust, während er auf sie herabsah. Sie bot ihm den Joint an.
»Nein danke«, lehnte er ab. »Ich wußte gar nicht, daß du so etwas machst.«
»Nur hin und wieder, wenn es etwas zu feiern gibt. Hier auf Norfolk gibt es nicht besonders viel Gras, weißt du? Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir es anbauen. Ihr Landbesitzer seid sehr streng mit den Lastern anderer Menschen.«
»Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten. Ich habe gehört, das Baby ist angekommen?«
»Das ist es, ja. Es ist ein prachtvolles Mädchen. Genau wie Véronique. Jetzt.«
»Jetzt?«
»Sie und Olive haben sich allem Anschein nach versöhnt. Sie sind Eins geworden. Eine Persönlichkeit. Ich schätze, das wird so oder ähnlich früher oder später mit euch allen passieren.«
»Ha!« Luca grunzte bitter. »Da irrst du dich aber gewaltig, Frau. Ich habe heute Menschen getötet. Butterworth fürchtet sich zu Recht wegen seiner Gesundheit. Wenn der Körper hier in diesen Universum stirbt, dann stirbt die Seele mit ihm. Keine Geister, keine Unsterblichkeit, nur Tod. Wir haben es vermasselt. Wir hatten unsere eine große Chance, hinzugehen, wohin wir wollten – und wir sind hier gelandet.«
Carmitha stieß einen langen Atemzug voller süßlichem Rauch aus. »Ich schätze, ihr seid genau dort, wo ihr hinwolltet.«
»Rede keinen Unsinn, Frau.«
»Ihr seid dort gelandet, wo wir die menschliche Rasse von Anfang an gesehen haben. Was hier existiert ist alles, was wir hatten, bevor die Menschen anfingen, Dinge zu erfinden und elektrischen Strom zu benutzen. Es ist die Art von endlicher Welt, in der sich Menschen sicher fühlen. Es gibt ein wenig Magie, aber sie ist nicht zu viel nutze. Nur sehr wenige Maschinen funktionieren, nichts Kompliziertes, und mit Sicherheit keine Elektronik. Und der Tod … der Tod ist real. Zur Hölle, wir haben sogar wieder Götter auf der anderen Seite des Himmels. Götter mit Kräften, die über alles hinausgehen, was hier möglich ist, nach unserem
Weitere Kostenlose Bücher