Armageddon 06 - Der nackte Gott
eigenen Ebenbild geschaffen. In ein paar Generationen werden es nur noch Gerüchte sein. Legenden, die erzählen, wie diese Welt erschaffen wurde, wie sie in hellem rotem Feuer aus der schwarzen Leere gerast kam. Was ist das, wenn nicht ein neuer Anfang in einer Wellt voller Unschuld? Dieser Ort ist nicht für euch gemacht, das war er nie. Ihr habt den biologischen Imperativ neu erfunden, und diesmal bedeutet er tatsächlich etwas. Was ihr seid, könnt ihr nur durch eure Kinder weitergeben. Jeder Augenblick muß in seiner Gänze ausgekostet werden, weil er nicht wiederkehrt.« Sie nahm einen weiteren Zug, und das Ende des Joints glühte hellrot auf. Kleine Funken spiegelten sich in ihren fröhlichen Augen. »Mir gefällt diese Vorstellung ausgesprochen gut. Dir nicht?«
Stephanies Schußwunde war weit genug verheilt, daß sie wieder im Lager umherwandern konnte; gemeinsam mit Moyo und Sinon drehte sie zweimal am Tag die Runde. Ihr kleines abgeschlossenes Refugium war auf chaotische Weise gewachsen, je mehr Deserteure aus Eklunds Armee eingetroffen waren. Inzwischen erstreckte sich ein Gewirr von Schlafsäcken über den gesamten Hügel am Rand der Klippe. Die Neuankömmlinge neigten dazu, in kleinen Gruppen unter sich zu bleiben und drängten sich um die kleinen Stapel von was auch immer sie aus Ketton mitgebracht hatten. Die Serjeants bestanden lediglich auf einer einzigen Regel: Jeder, der Asyl vor der Eklund suchte, mußte seine echten Waffen bei der Ankunft abliefern. Niemand hatte genügend Einwände, um wieder zurückzukehren.
Während Stephanie die Gruppen gedrückter Menschen umkreiste, fing sie genügend Fragmente von Unterhaltungen auf, um zu erraten, was einen Deserteur erwartete, der dumm genug war, zur Eklund zurückzukehren. Annette Eklunds Verfolgungswahn wuchs in besorgniserregendem Maße. Und Tinkerbells Auftauchen hatte nicht geholfen, im Gegenteil. Offensichtlich hatte sie auf das Kristallwesen geschossen. Das war der Grund, weshalb es zurück in die leere Helligkeit geflüchtet war.
Als hätten sie in ihrer gegenwärtigen mißlichen Lage nicht schon genug Sorgen, kam jetzt noch die nicht geringe Wahrscheinlichkeit hinzu, daß die Eklund einen Krieg anzettelte.
»Ich vermisse ihn ebenfalls«, sagte Moyo mitfühlend. Er drückte Stephanies Hand in dem Versuch, sie zu trösten.
Sie lächelte schwach, dankbar, daß er ihre melancholischen Gedanken aufgenommen hatte. »Ein paar Tage ohne ihn, und wir zerstreiten uns alle heillos.« Sie verstummte und atmete tief durch. Vielleicht war ihre Genesung doch noch nicht so weit fortgeschritten, wie sie sich das gewünscht hätte. »Kommt, wir gehen wieder zurück«, sagte sie. Diese kleinen Spaziergänge hatten angefangen, weil sie den Neuankömmlingen ein Gefühl von Identität vermitteln und ihnen zeigen wollten, daß sie alle Teil einer großen neuen Familie waren. Stephanie war diejenige, zu der alle kamen, und sie wollte ihnen demonstrieren, daß sie Zeit hatte für jeden, der ihren Rat oder ihre Hilfe suchte. Die meisten erkannten sie wieder, als sie vorbeiging. Doch inzwischen waren es einfach zu viele geworden, und die Serjeants mußten für ihre Sicherheit garantieren. Stephanies Rolle hatte sich in Nichts aufgelöst. Gott hilf mir, daß ich nicht anfange, meine eigene Bedeutung hochzuspielen wie die Eklund.
Sie drehten um und kehrten zu dem kleinen Lager zurück, wo ihre Freunde über Tina wachten. Ein kleines Stück weiter bildeten die Serjeants eine Kette von Beobachtern, die nach Tinkerbell Ausschau hielten. Die Kette deckte inzwischen fast ein Fünftel des gesamten Randes ab, und Sinon berichtete, daß der Mini-Konsensus überlegte, Serjeants rings um den Felsen zu postieren. Als sie fragte, ob die Eklund das nicht als bedrohliche Aktion betrachten könne, schüttelte das große BiTek-Konstrukt bloß die Schultern. »Es gibt Dinge, die sind um einiges wichtiger als die Neurosen dieser Frau.«
»Das war aber eine schnelle Inspektionstour«, bemerkte Franklin, als sie wieder im Lager waren.
Stephanie führte Moyo zu einer gemütlichen Sitzposition ein paar Meter von Tinas improvisiertem Krankenlager entfernt, und breitete neben ihm eine Decke aus. »Ich bin wirklich kein besonders inspirierender Anblick mehr«, sagte sie.
»Aber selbstverständlich bist du das«, widersprach Tina.
Sie mußten sich anstrengen, um ihre Stimme zu hören. Tinas Zustand hatte sich weiter verschlimmert. Die Serjeants, das wußte Stephanie, hatten sie
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