Armageddon 06 - Der nackte Gott
er.
»Nicht allzu schlecht, danke, Sir.« Johan lächelte schwach und nickte.
»Du siehst schon viel besser aus.« Er hatte wieder zugenommen, obwohl die lose Haut auf seinen Wangen noch immer bleich war.
»Sobald das Glashaus fertig ist, werde ich ein paar Samen ausbringen lassen«, sagte Johan. »Ich mag es, im Winter ein wenig frischen Salat und Gurken auf meinen Sandwiches zu haben. Gegen Avocados hätte ich auch nichts, aber es wird nächstes Jahr, bis sie reif sind.«
»Klasse, Mann. Und wie geht’s unserer Kleinen?« Luca spähte in die Wiege. Er hatte ganz vergessen, wie winzig Neugeborene waren.
»Sie ist traumhaft«, seufzte Véronique glückselig. »Ich wünschte nur, sie würde in der Nacht so friedlich schlafen wie jetzt. Alle zwei Stunden will sie trinken. Man kann die Uhr danach stellen. Es ist unglaublich ermüdend.«
»So eine süße kleine Laus«, sagte Johan. »Schätze, sie wird ein heißer Feger, wenn sie erst groß ist.«
Véronique strahlte voller ungezwungenem Stolz.
»Ich bin sicher, das wird sie«, antwortete Luca. Ihn schmerzte die Art und Weise, wie der alte Mann den Säugling ansah; in seinen Blicken lag zuviel Verzweiflung. Butterworth wollte eine Bestätigung, daß das Leben ganz normal weiterging in diesem Universum. Es war ein Verhalten, das unter Cricklades Bewohnern immer mehr um sich griff, wie ihm in letzter Zeit schon häufiger aufgefallen war. Die Kinder in ihrer Obhut hatten mehr und mehr mitfühlende Aufmerksamkeit erfahren. Von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, seinen eigenen Entschluß aufrechtzuerhalten, auf dem Gutshof zu bleiben und den Drang zu ignorieren, der ihn auf die Suche nach seinen Töchtern trieb. Eine Schwäche, die er auf den Tag zurückdatieren konnte, an dem Johan zusammengebrochen war. Nach der Schlacht beim Bahnhof von Colsterworth hatte sie noch zugenommen. Jeder Schritt auf dem sandigen Kies rings um das Haus drückte schwer in seine Fußsohlen und erinnerte ihn daran, wie unsicher das Leben in diesem Universum mit einem Mal geworden war.
Luca führte sein Reittier in den Pferdehof, schuldbewußt und froh zugleich, daß er Johan hinter sich lassen konnte. Carmitha war bei ihrem Zigeunerwagen. Sie faltete frisch gewaschene Kleidung und packte sie in eine schwere Holzkiste mit Messingbeschlägen. Ein halbes Dutzend ihrer alten Pulverflaschen stand auf den Pflastersteinen, voll mit Blättern und Blüten, und die grüne Flaschenfarbe verlieh ihnen einen eigenartig grauen Schimmer.
Sie nickte ihm freundlich zu und machte weiter mit ihrer Arbeit. Er sah ihr zu, während er den Sattel von seinem Hengst nahm; sie bewegte sich mit einer festen Entschlossenheit, die jede Unterbrechung verbieten sollte. Allem Anschein nach war sie zu einem Entschluß gekommen, dachte er. Die Kiste war endlich voll, und sie warf krachend den Deckel zu.
»Soll ich dir helfen?« fragte er.
»Danke.«
Gemeinsam wuchteten sie die Kiste durch die Tür auf der Rückseite des Wagens.
Luca stieß einen leisen Pfiff aus. Er hatte den Innenraum noch nie so aufgeräumt gesehen. Es gab keine Unordnung, keine Kleidungsstücke oder Handtücher lagen umher, sämtliche Pfannen an den Haken waren auf Hochglanz poliert und wurden von kupfernen Ringen für die Reise gesichert.
Sie schob die Kiste in einen Alkoven unter dem Bett.
»Du willst weg?« fragte er.
»Ich mache mich jedenfalls bereit.«
»Und wohin?«
»Ich weiß es noch nicht. Vielleicht nach Holbeach, nachsehen, ob ein paar von den anderen bis zu den Höhlen durchgekommen sind.«
Er setzte sich auf das Bett und fühlte sich plötzlich unendlich müde. »Warum? Du weißt, wie wichtig du für die Leute hier geworden bist. Mein Gott, Carmitha, du kannst doch nicht einfach weggehen! Sieh mal, wenn irgend jemand etwas gegen dich gesagt oder getan hat, dann rede mit mir. Ich laß ihm die verdammten Eier abreißen und röste sie über einem Grill!«
»Niemand, bis jetzt.«
»Aber warum dann?«
»Ich möchte einfach bereit sein für den Fall, daß dieses Gut auseinanderfällt. Weil das nämlich geschehen wird, wenn du von hier weggehst.«
»Mein Gott.« Sein Kopf sank nach vorn, und er vergrub das Gesicht in den Händen.
»Wirst du gehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin heute morgen um das Gut geritten und hab’ versucht, zu einer Entscheidung zu gelangen.«
»Und?«
»Ich möchte weg. Ich möchte wirklich. Ich weiß nicht, ob Grant mich dann in Ruhe läßt, oder ob ich mich dann völlig aufgebe. Ich glaube, der einzige
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