Armageddon 06 - Der nackte Gott
Sprungkoordinaten erschienen vor seinem geistigen Auge, ein purpurnes Blinken am Ende eines langen Schlauches aus orangefarbenen Ringen. Der Stern befand sich leicht seitlich von ihnen; die Abweichung entsprach dem unterschiedlichen Delta-V relativ zur Lady Macbeth. Beide bewegten sich noch immer mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten in ihrem Orbit um das galaktische Zentrum.
»Alles bereithalten für Beschleunigungsmanöver«, sagte Joshua.
Überall in den Liegen ertönte Stöhnen. Es verstummte, sobald Joshua den Antimaterieantrieb aktivierte und vier g jeden mit eiserner Faust in seine Polster drückte – mit Ausnahme von Kempster Getchell. Der alte Astronom hatte sich nach dem zweiten Sprung in eine Null-Tau-Kapsel verkrochen. »Das ist zuviel für meine Knochen«, hatte er offen eingestanden. »Holen Sie mich raus, wenn wir am Ziel angekommen sind.«
Alle anderen hielten durch. Nicht, daß die Besatzung eine Wahl gehabt hätte. Siebzehn Sprünge in dreiundzwanzig Stunden, jeder über eine Entfernung von fünfzehn Lichtjahren. Wahrscheinlich für sich allein genommen bereits ein Rekord. Doch niemand zählte mit; alle waren vollauf damit beschäftigt, die Systeme funktionsfähig zu halten. Es gab nicht viele Besatzungen, die mit ihnen hätten mithalten können. Wachsender Stolz gesellte sich zu nervöser Erwartung hinzu, je näher das System rückte, in dem der Schlafende Gott wartete.
Joshua blieb in seiner Beschleunigungsliege, während er sie mit seiner üblichen erhabenen Kompetenz von einer Koordinate zur anderen pilotierte. Es wurde nicht viel geredet, während der Orion-Nebel hinter ihnen immer weiter schrumpfte. Nach jedem neuen Sprung war er kleiner, bis er nur noch als winziger verschwommener Fleck am Sternenhimmel stand, das letzte vertraute astronomische Detail im gesamten Universum. Sämtliche Fusionsgeneratoren liefen mit maximaler Kapazität, um die Energieknoten zwischen den Sprüngen so schnell wie möglich zu laden. Das war der Grund, weshalb Joshua mit hoher Beschleunigung von einer Koordinate zur anderen steuerte, statt dem üblichen Zehntel g. Zeit. Zeit war zum kostbarsten Rohstoff geworden, der ihm geblieben war.
Instinkt trieb ihn voran. Dieser geheimnisvolle, nackte Stern, der beständig im Apex der Sensoren ruhte, zog ihn auf die gleiche magische Art und Weise an wie damals der Ruinenring, als er seinen Glückstreffer gelandet hatte. Soviel war auf dieser Reise geschehen. Soviel seiner eigenen Hoffnungen hatte er inzwischen investiert. Er konnte und wollte nicht glauben, daß alles umsonst gewesen sein sollte. Der Schlafende Gott existierte. Ein Xeno-Artefakt, machtvoll genug, um selbst die Kiint zu interessieren. Sie hatten von Anfang an recht gehabt, zu dieser Expedition aufzubrechen. Die Entdeckungen, die sie unterwegs gemacht hatten, unterstrichen die Bedeutung noch.
»Knoten aufgeladen und bereit, Kommandant«, meldete Dahybi.
»Danke«, sagte Joshua. Automatisch überprüfte er den Bahnvektor. Das alte Mädchen schlug sich phantastisch. Noch drei Stunden, zwei weitere Sprünge, und sie wären am Ziel. Die Reise wäre vorüber. Das war der Teil, den Joshua am wenigsten glauben konnte. Es hatte so viele Zufälle gegeben, die die Lady Macbeth zu dieser Begegnung geführt hatten. Kelly Tirrel und die Söldner auf Lalonde. Jay Hilton und Haile (wo auch immer die beiden nun waren). Tranquility, das der Organisationsflotte entkommen war. Weiter zurück noch, eine einzelne Nachricht, die über eineinhalbtausend Lichtjahre leeren Raums weitergegeben worden war, von einem Sternensystem zum nächsten, von einer Spezies, die der stellaren Expansion ihrer Sonne eigentlich niemals hätte entkommen dürfen. Und Swantic-LI, die Arche, die den Schlafenden Gott ursprünglich entdeckt hatte. Unglaubliche Zufälle in einer Kette von Ereignissen, die fünfzehntausend Lichtjahre zurückreichte und die das Schicksal einer ganzen Spezies mit dieser einen Begegnung verband.
Joshua glaubte nicht an eine derart lange Kette von Zufällen. Damit blieb als einzige Erklärung nur noch das Schicksal übrig. Göttliche Intervention.
Eine interessante Vorstellung angesichts des Ziels, zu dem sie unterwegs waren.
Louise erwachte benommen. Ein junger Mann lag auf ihr. Beide waren sie nackt.
Andy, erinnerte sie sich. Es war sein Appartement: klein, schmuddelig, beengt. Und so heiß, daß man die Luft hätte schneiden können. Feuchtigkeit glitzerte auf jeder Oberfläche im dunkelroten Licht der
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