Armageddon 06 - Der nackte Gott
Stunden zu früh. Ein großer kreisrunder Wirbel aus roten Wolken hing genau im Zentrum der Westminster-Kuppel, ein paar hundert Yards über dem Boden. Ihr unheilvolles Licht reflektierte im geodätischen Kristall der Kuppel und ließ die Träger in einer Farbe schimmern, die aussah wie angelaufenes Kupfer.
Die Wolkenunterseite warf ihren blutigroten Lichtschein auf die Dächer und Mauern der Stadt und tauchte alles in ein fleckiges Magenta. Der Rand war keine Meile mehr von Andys Appartement entfernt und breitete sich langsam in alle Richtungen aus.
»Scheiße!« zischte Andy. »Wir müssen von hier verschwinden!«
»Wir können nirgendwo hin, Andy. Die Besessenen sind überall.«
»Aber … O Scheiße! Warum unternimmt denn niemand etwas? New York wehrt sich doch auch immer noch! Wir müssen uns organisieren und zur Wehr setzen, genau wie sie.«
Louise kehrte zum Bett zurück und setzte sich vorsichtig. Nach der vergangenen Nacht fielen ihr einige Bewegungen ziemlich schwer. Sie benutzte ihre neurale Nanonik für eine physiologische Übersicht, um sicherzugehen, daß dem Baby nichts fehlte. Es war alles in Ordnung, bis auf ein paar überreizte Stellen und Muskelkater. Das nanonische Medipack entließ ein paar biologisch aktive Chemikalien in ihren Blutstrom, die helfen würden. »Wir haben versucht, etwas zu unternehmen«, sagte sie. »Aber das ist letzte Nacht schiefgelaufen.«
»Ihr habt versucht, etwas zu unternehmen?« fragte Andy. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Er rieb sie ab und wischte sich das feuchte Haar aus den Augen. »Du meinst, du bist in diese Sache verwickelt?«
»Ich bin zur Erde gekommen, um die Behörden vor einem Besessenen namens Quinn Dexter zu warnen. Ich hätte mir die Mühe sparen können, sie wußten bereits Bescheid. Er steckt hinter alledem. Ich habe ihnen geholfen, ihn zu finden, weil ich weiß, wie er aussieht.«
»Ich dachte die ganze Zeit, die Organisation von diesem Al Capone hätte die Erde infiltriert.«
»Nein, das ist die Version, die GovCentral den Medien erzählt hat. Sie wollten nicht, daß jemand erfuhr, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hatten.«
»Himmel und Hölle!« stöhnte Andy niedergeschlagen. »Ich bin vielleicht eine miserable Ausgabe von einem Don des Netzes. Ich bin nicht einmal imstande, die wichtigsten Dinge herauszufinden.«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Der GISD ist ein ganzes Stück gerissener, als die meisten Menschen denken.« Sie erhob sich, als die Erinnerung an B7 zurückkehrte. Es ließ ihr keine Ruhe. »Ich muß ins Badezimmer. Du hast gesagt, es ist draußen auf dem Gang?«
»Ja. Äh, Louise?«
»Was denn?«
»Ich denke, du solltest vorher etwas anziehen.«
Sie blickte an sich herab und mußte grinsen. Vollkommen schamlos splitterfasernackt vor einem Jungen zu stehen, nein, nicht vor irgendeinem Jungen, sondern einem Mann, mit dem sie Sex gehabt hatte. Vielleicht habe ich meine verklemmte Erziehung am Ende doch abgelegt. »Ich schätze, du hast recht.«
Ihre eigenen Kleider lagen noch auf dem Stapel, wo sie sie hingeworfen hatte, feucht und vollkommen zerknittert. Andy lieh ihr eine graue Jeans und ein schickes navyblaues Sweatshirt mit einem Aufdruck von Judes Eworld, die er in einer speziellen Kiste aufbewahrt hatte, wo sie vor Feuchtigkeit geschützt waren.
Als sie aus dem Badezimmer zurückkehrte, hatte er gerade ein paar Energiezellen an die Klimaanlage angelötet. Die galvanisierte Box erzitterte, als der Motor anlief, dann sandte sie einen klammen Strom kalter Luft aus. Louise stellte sich davor und versuchte, ihre Haare zu trocknen.
»Ich hab’ etwas Essen gelagert«, sagte Andy. »Möchtest du frühstücken?«
»Bitte.«
Er zog ein paar Fertigmahlzeiten aus einer weiteren Kiste und schob sie in den Ofen. Louise machte sich daran, sein Appartement genauer in Augenschein zu nehmen.
Er war tatsächlich ein Elektronikfreak, genau wie er es damals im Restaurant behauptet hatte. Er hatte nicht einen Pfennig seines Verdienstes in Mobiliar investiert, nicht einmal Kleidung, wie es aussah. Statt dessen lagen überall technische Spielereien herum; Werkzeuge und Prozessorblocks, Drahtspulen, Glasfasern, mikroskopisch kleine Komponenten in Lupenschachteln, empfindliche Testschaltungen, ein ganzes Wandregal voller Fleks. Als sie einen Blick in das andere Zimmer warf, stellte sie fest, daß es bis unter die Decke vollgestapelt war mit alter Haushaltselektronik. Er schlachtete sie wegen der Komponenten aus, sagte
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