Armageddon 06 - Der nackte Gott
die Ereignisse auf dem großen Bildschirm des antiken Sony-Fernsehers. Große AntiDrehmoment-Schlüssel hakten sich rings um den Rand der Rumpfplatte in die dafür vorgesehen Aussparungen ein. »Ich glaube das nicht!« rief sie. »Ich glaube das einfach nicht! Diese Trottel halten das Schiff tatsächlich für ungefährlich!«
»Sei vernünftig«, sagte Arnie. »Diese Vorsichtsmaßnahmen sind vollkommen ausreichend, um jeden Besessenen aufzuspüren, der sich an Bord versteckt hält.«
»Mit Ausnahme von Quinn Dexter«, brummte Saska.
»Wir wollen die Dinge doch nicht unnötig verkomplizieren. Tatsache ist, daß die Navy äußerst sorgfältig ans Werk geht.«
»Unsinn«, schnappte Tracy. »Diese KNIS-Offizierin ist kriminell inkompetent! Sie muß doch wissen, daß Capone etwas gegen Pryor in der Hand hat, um ihn unter Druck zu setzen, und doch hat sie nichts deswegen unternommen! Sie werden dieses verdammte Schiff andocken lassen, sobald sie die Rumpfplatte abgeschraubt haben.«
»Wir können sie nicht aufhalten«, warnte Saska. »Du kennst die Regeln.«
»Capone und sein Einfluß schwinden langsam dahin«, entgegnete Tracy. »Ganz gleich, welche trügerischen Siege er erringt, er kann nicht wiedergewinnen, was er verloren hat, jedenfalls nicht im Augenblick. Ich sage, wir dürfen nicht zulassen, daß er mit diesem Plan durchkommt. Die psychologische Dynamik der Gesamtsituation muß mit berücksichtigt werden. Die Konföderation muß überleben, und nicht nur das: Sie muß das Gebilde sein, das diese Krise erfolgreich meistert. Und die Navy ist der Inbegriff der Konföderation, ganz besonders jetzt. Sie darf keinen Schaden nehmen. Nicht in dem Ausmaß jedenfalls, das Pryors Mission anzurichten imstande ist.«
»Du bist genauso arrogant wie dieser Capone«, sagte Galic. »Immer mußt du recht haben, immer willst du die Oberhand gewinnen.«
»Wir wissen ganz genau, wer gewinnen muß«, entgegnete sie. »Es muß einen funktionierenden speziesweiten Regierungsmechanismus geben, um die Art von Politik durchzusetzen, die nach der Krise erforderlich sein wird, um die Übergangsphase zu meistern. Und trotz all ihrer Fehler kann die Konföderation vernünftig funktionieren. Wenn sie versagt, wird sich die menschliche Rasse aufspalten, sozial, politisch, ökonomisch, religiös und ideologisch. Wir würden wieder zurückfallen in ein Prä-Raumfahrt-Zeitalter, und es würde Jahrhunderte dauern, bis die Menschen wieder dort wären, wo sie heute stehen. Zu diesem Zeitpunkt könnten wir längst zur aktiv transzendenten Bevölkerung dieses Universums gehören.«
»Wir?«
»Ja, wir. Wir. Wir wenigen Privilegierten. Die Tatsache, daß wir hier gezüchtet wurden, bedeutet noch lange nicht, daß wir nicht menschlich sind. Zweitausend Jahre unter unserem eigenen Volk haben das hier zu einer fremden Welt gemacht.«
»Jetzt wirst du melodramatisch.«
»Nenn es meinetwegen, wie du willst. Aber ich weiß genau, was ich bin.«
Die internen Sensoren der Villeneuve’s Revenge zeigten, daß Kingsley Pryor allein in seiner kleinen Kabine war. Er hatte die gleiche entnervende Haltung eingenommen, wie sie André Duchamp und seine drei Besatzungsmitglieder während der gesamten quälend langsamen Reise hierher beobachtet hatten. Er schwebte wenige Zentimeter über dem Boden, die Beine in Lotusposition gefaltet, und seine Augen blickten in eine entsetzliche persönliche Hölle. Selbst über die Datavis-Verbindung zum strategischen Verteidigungskommando konnte die diensthabende Offizierin sehen, daß Pryor etwas Schreckliches durchlitt.
Nachdem die Ferndiagnose der Bordelektronik abgeschlossen und die Rumpfplatte 4-36-M entfernt worden war und in den Armen des Waldo hing, erhielt André einen Vektor, der die Villeneuve’s Revenge mit einem Zehntel g in Richtung Trafalgars bringen würde. Das strategische Verteidigungskommando verfolgte, wie der Bordrechner auf die Befehle der Besatzung reagierte und die Fusionsantriebe zum Leben erwachten. Das Schiff befolgte die Sicherheitsprotokolle buchstabengetreu bis zum letzten Byte.
Kingsley schwebte die letzten Zentimeter zum Decksboden hinunter und unterdrückte ein Aufstöhnen, als ihm bewußt wurde, was das bedeutete. Im Verlauf der Reise hierher hatte er sein Dilemma zu einem fast physischen Schmerz erhoben, und jeder Gedanke an das, was seine Bestimmung war, hatte ihn von innen heraus verbrannt.
Es gab einfach keinen Ausweg aus der Falle, in der Capone und seine Hure ihn gefangen
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