Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Gingrich würde sich mit seinen albernen Proklamationen in der politische Debatte disqualifizieren, stattdessen gehörte er mit ihnen eine Weile sogar zu den aussichtsreichsten Bewerbern für den Posten des Präsidentschaftskandidaten seiner Partei. Den Tausenden, ja Millionen Menschen nach zu urteilen, die sein Wort für bare Münze nahmen, sprachen seine Warnungen vor Betrug auf höchster Ebene – der totalen Korruption, Konspiration und Krise – den Ängsten, die im Land umgingen, aus der Seele.
Angst hatte Hochkonjunktur. Erick Erickson beschrieb als Blogger von »red state« (zusammen mit seinem Mitautor Lewis Uhler) sehr genau, was er und andere Alarmisten erreicht hatten.
Viele Amerikaner, die noch nie politisch aktiv waren, noch nie aktiv einen Kandidaten unterstützt haben und noch nie auf dem Golfplatz, bei einer Familienfeier oder in den Ferien über Politik, die Regierung oder die Verfassung diskutiert haben, wurdenplötzlich von dem Gefühl ergriffen, dass ihnen ihr Staat, ihre Nation, ihr Way of life gestohlen wird. [6]
Überall im Land hatten die Leute nun die Sendung über die Invasion vom Mars eingeschaltet und lauschten atemlos der über sie hereinbrechenden Katastrophe, ja sie wurden regelrecht süchtig danach. Es war ein einziger Rausch: Sie erbebten bei der Vorstellung der schreienden Ungerechtigkeiten, die ihnen von den angeblichen »Todeskommissionen« drohten, in denen entschieden werden sollte, wer überhaupt noch Gesundheitsleistungen bekam und wer nicht. Sie gierten danach, mehr über die »Indoktrination« zu hören, die der neue Präsident ihren unschuldigen Kindern angedeihen lassen wollte. Ihr Puls schlug schneller, wenn sie an die »Ketten« dachten, die er für ihre starken Handgelenke vorbereitete, und die Brust schwoll ihnen bei der Vorstellung ihrer Tapferkeit, mit der sie dem »kommenden Aufstand« entgegentreten würden. Ihre Helden, so erfuhren sie mit Schaudern, waren Opfer von »Verfolgung«, ihre Nation wurde von ihren eigenen Führern »systematisch unterjocht«. Und das, wo sie doch den Sowjetkommunismus besiegt hatten, wo sie über ihre Feinde triumphiert hatten, die im Kerker von Guantánamo schmachteten – eine populäre Website jener Tage sah die gesamte Nation als Gulag. [7]
Die Apokalypse war der Renner, sie brachte Schwung in die Sache und wies den Unentschlossenen die Richtung.
Wir sind der Markt
Und was sie verkaufte, war der große Gott namens Markt. Würden die Amerikaner nur auf den Pfad der merkantilen Tugenden zurückkehren, so würde die unsichtbare Hand des Marktes die Bedrohung der »Zerstörung« vom Land nehmen. Sie würde in der von Filz und Bailouts gebeutelten Nation wieder Gerechtigkeit herstellen. Sie würde die Pleitiers pleitegehen lassen und die Sparsamen und Umsichtigenbelohnen. Unter ihrem wohlwollenden Blick würden Mühen wieder belohnt; die Faulen und Betrüger würden leer ausgehen, Gerechtigkeit und Stabilität wieder die Oberhand gewinnen.
Von dem Tag an, da die neue Rechte aus ihrem Klapperschlangenei kroch, waren Apokalypse auf der einen Seite und Kapitalismus auf der anderen ihre beiden Leitsterne, ihr Omega und Alpha, ihre Furcht und ihre Hoffnung. »Was sagen wir zum Sozialismus?« lautete der Schlachtruf einer Protestveranstaltung der Tea Party in Los Angeles 2009. »Neiiiiin«, rief die Menge zurück. »Was sagen wir zur freien Marktwirtschaft?« »Jaaaaa!« [8]
»Das mächtigste und vielfach bewährte Instrument des materiellen und gesellschaftlichen Fortschritts ist die freie Marktwirtschaft«, heißt es in der Präambel des »Contract from America«, einem Manifest der Tea Party aus dem Jahr 2009. Der Verleger Steve Forbes drückte es in seinem 2009 erschienenen Buch
How Capitalism Will Save Us
so aus: »Märkte sind Menschen, die mit ihrem Geld abstimmen.« Und im nächsten Satz heißt es: »In vielerlei Hinsicht ist ein Markt ein Ökosystem«. [9]
Dies bringt uns der großen gesellschaftlichen Vision der neuen Rechten näher. Märkte sind nach ihrer Ansicht sowohl natürlich als auch demokratisch; sie sind im Grunde Demokratien, die auf natürliche Weise entstehen, Orte der Unschuld und der Wunder. So wie wir auf keinen Fall in das zerbrechliche und ohne Zweifel demokratische Gefüge eines Korallenriffs eingreifen wollen, so müssen wir etwa auch Wohnungsbauunternehmen in ihrem nicht minder natürlichen Bemühen, das Ausdruck des Volkswillens ist, gewähren lassen.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für
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