Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Kapitalismus für eine gute Sache hält. Der Staat ist auf vielfältige Weise mit der Wirtschaft verwoben, sagen die Liberalen, und das muss auch so sein. Ein komplett freier Markt wäre eine Katastrophe, etwas, was nicht einmal die Wirtschaft selbst wollen könne. Ein bedeutender Arbeitshistoriker schrieb 1975: »Keine einzige wichtige Branche der amerikanischen Industrie könnte heute ohne den Staat überleben.« [12]
Aus Sicht der Liberalen besteht das eigentliche Problem darin, dass der Staat nicht weit genug geht. Er streut bloß hier und da seine Subventionen aus, während die Aktienbesitzer ihre Gewinne einstreichen – ein inzwischen allzu bekanntes System, in dem das Risiko verstaatlicht und die Profite privatisiert werden. Bailouts bieten dafür das beste Beispiel, sagen die liberalen Kritiker, sie ermöglichen den Investmentbankern ihre riskanten Spiele und übernehmen die Verluste, wenn sie sich verzockt haben.
Die runderneuerte Rechte stellte dieses Argument einfach auf den Kopf. Ja, die Regierung hat ihre Finger in sämtlichen Bereichen der Wirtschaft, und das ist der Grund, warum alles schiefgelaufen ist. Die Kräfte des Marktes sind niemals wirklich entfesselt worden, und daher kann man dem Markt auch nicht die Schuld an unseren derzeitigen Problemen geben. Folgerichtig schallte es aus tausend Megafonen: Weg mit dem Staat! Haut kaputt, was vom liberalen Staat übrig ist! Bis zu dem Tag, an dem das freie Unternehmertum wirklich und endlich von der Leine gelassen ist, kann der Kapitalismus für gar nichts verantwortlich gemacht werden.
In seinem 2009 erschienenen Buch
Arguing with Idiots
erläutert Glenn Beck den wahren Glauben durch eine Geschichte, in der ein Gründervater in gepuderter Perücke mit einem sowjetischen Soldaten über die Tagesereignisse diskutiert. Thema ist, ob die Finanzkrise »durch einen Fehler des Kapitalismus oder durch den Schindluder, den der Staat mit ihm getrieben hat«, ausgelöst wurde. Die Antwort ist einfach, belehrt uns Becks Gründervater: »Unter den Verhältnissen eines echten freien Marktes würde sich der Staat garantiert nicht in die Angelegenheiten der Hausbesitzer einmischen.«
Er würde Hauskäufe nicht durch künstlich niedrige Zinsen, Fannie und Freddie, Steuererleichterungen oder so etwas wie den »Community Reinvestment Act« erleichtern, aber er würde sie auch nicht verhindern. [∗] Zinsen würden durch die Marktteilnehmer festgesetzt und sich am Risiko, den Gewinnerwartungen undder klaren Einsicht orientieren, dass schlechte Kredite in Pleiten enden. [∗]
Begreifen Sie, wie wunderbar das alles wäre, geneigter Leser, geneigte Leserin? Ohne Regulierung würden alle im Einklang mit der Natur und dem Willen der Gründerväter gedeihen, und Finanzinstrumente wie Collateralized Debt Obligations wären gar nicht erst erfunden worden. Spekulationsblasen hätte es nie gegeben. Die Banken hätten nie Systeme gezimmert, die Belohnungen für faule Kredite versprachen – ihr vernünftiges Selbstinteresse hätte es verhindert! Noch einmal Beck:
Aber wir haben
das genaue Gegenteil
davon getan. Der Immobilienmarkt wird von der Regierung auf Schritt und Tritt manipuliert. Manche sind der Ansicht, solche »Exzesse« ließen sich in der Zukunft nur mit noch mehr Regulierung verhindern, ich aber bin der Meinung, dass es gerade die schon bestehenden Regulierungen waren, die zu diesen Exzessen geführt haben. Mit anderen Worten, der Fehler lag nicht in der Idee der freien Marktwirtschaft, sondern darin, zu glauben, der Markt könne in einem Staat, der sich immer mehr einmischt, frei bleiben. [13]
Will man also sein Schicksal dem Markt anvertrauen, muss man erst einmal dafür sorgen, dass er wirklich frei ist. Die Bürger hörten diesen Ruf zu Millionen. Im Oktober 2010 rief Glenn Beck seine frustrierten Anhänger auf, Geld für die U.S. Chamber of Commerce, die amerikanische Handelskammer, zu spenden – den größten und schlimmsten Wirtschaftslobbyisten in ganz Washington. Er begründete dies mit den Worten: »Sie sind wir.« Normalerweise haben Zu-Wendungenan die Handelskammer eine Größenordnung von Hunderttausenden Dollar und stammen von Großunternehmen. Auf Becks Aufruf folgte eine solche Flut von Kleinspenden, dass die Server der Handelskammer zusammenbrachen. [14]
∗ »Große Gelegenheit«, »die Macht an sich reißen« und »die Dinge von Grund auf ändern« sind stets wiederkehrende Floskeln, mit denen Beck das liberale Denken umreißt.
∗ In
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