Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
diesen Glauben an den freien Markt wurde im Jahr 2009 in einer Flugschrift der Tea Party unter der Überschrift
Spread This Wealth
verbreitet. Der Autor, C. Jesse Duke, möchte wie viele marktorientierte Autoren vor ihm seine Leser über die Natur des Kapitalismus aufklären und schildert ihnen zu diesem Zweck die Abenteuer eines Urzeitmenschen, der einen Stock findet, damit ein Reh tötet und mit anderenUrzeitmenschen Tauschhandel treibt. Duke erläutert das folgendermaßen:
Der gesamte Prozess des freien Marktes und der Handel mit Zeit und Energie ist nichts anderes als die natürliche Ordnung der Welt
. Ein Baum tauscht Sauerstoff gegen Kohlendioxid. Ein Feuer tauscht Hitze gegen Sauerstoff. Atome tauschen Elektronen, um andere Atome zu werden. Pflanzen sammeln Licht, um Chlorophyll zu produzieren, von dem sich Tiere ernähren, die wiederum Nahrung für andere Tiere und Menschen werden, und so weiter. Die gesamte Natur ist ein einziges Tauschgeschäft. Der freie Austausch von Zeit und Energie zwischen den Menschen ist also die gottgewollte, natürliche Ordnung der Dinge. Wo diese Ordnung gestört wird, kommt es zu Konflikten. [10]
Bemerkenswert ist, dass Duke, Forbes und die anonymen Autoren des Contracts solche Fantasien in einem Umfeld entwickelten, in dem ungezügelte Investmentbanken durch verschachtelte Finanzderivate, die selbst Fachleute kaum noch verstanden, die Wirtschaft an die Wand gefahren hatten. Monopole und Oligopole herrschten allüberall. Die Stundenlöhne fielen seit Jahrzehnten. Aber laut solchen Proteststimmen war dies alles in Ordnung,
wenn man sich die Wirtschaftswelt als Naturzustand vorstellte
. Indem man annahm, es sei Gottes höchster Wille, dass sich der Staat aus all dem heraushielt.
Ich zitiere Mr. Duke hier nicht, um mich über seine Werke lustig zu machen, sondern weil obige Passage das Konzentrat der wohlüberlegten Naivität darstellt, die die Bewegung in Wirtschaftsfragen pflegt. Der Kapitalismus ist der neuesten Generation von Konservativen zufolge ein System des Gleichgewichts, der Harmonie und Einfachheit, ganz egal, was die Zeitungen über Schattenbanken oder Credit Default Swaps berichten. Bewaffnet mit dieser universellen Wahrheit schwor die neueste Rechte, sich auf keine Kompromisse wie bessere Regeln für Wall Street oder eine intelligentere Aufsichteinzulassen. In diesem Krieg ging es ihr um Ideale, hier prallten Utopien und Grundsätze aufeinander. Die Wirtschaftspolitik musste als Suche nach Authentizität verstanden werden. Und wer sich das einmal klargemacht hatte, der begriff auch, dass es um den Konflikt zwischen dem wahren, natürlichen Kapitalismus und einem fauligen Mischmasch ging, der von Politikern in Jahrzehnten der Kompromisse zusammengerührt worden war. So fragte Glenn Beck im September 2008 seine Zuhörer im Radio:
Warum haben Fannie und Freddie nicht funktioniert? Weil sie ein Zwitterwesen aus Staat und Kapitalismus sind. Sie sind nichts als politische Macht, aufgepumpt mit Geld. Das konnte nicht funktionieren. Sozialismus funktioniert nicht, Marxismus funktioniert nicht. Faschismus funktioniert nicht. Kapitalismus funktioniert. Der Kapitalismus hat den Menschen auf den Mond gebracht. [∗]
Wenn man den Kapitalismus einmal von all den komplexen Dingen befreite, die ihm die Progressiven über die Jahre aufgebürdet hatten, dann war er im Grunde eine ganz einfache Sache – so einfach, dass Beck sogar ein Bild von ihm malte, das er unter dem Titel
Capitalism
als Lithografie vertreibt. Es zeigt ein Rechteck mit Schornsteinen, aus denen friedlich kleine Dollar-Wölkchen quellen. Das Bild wird nicht durch die Darstellung von Menschen verkompliziert, es zeigt wederAutos noch Hochspannungsleitungen. Es ist nichts als ein einfaches, ziegelsteinartiges rotes Fabrikgebäude über dem Wort
Capitalism
. Seine Schlichtheit steht in scharfem Kontrast zu Becks verwickelter, von Verschwörungen und finsteren Machenschaften durchzogener Welt – vielleicht ist es die Idylle, bei der seine Gedanken Zuflucht suchen, wenn ihn die Angst packt, die ihm ständig im Nacken sitzen muss. Es ist ein heiterer, tröstlicher Kapitalismus.
Es geht also nicht darum, irgendwie an den Stellschrauben des Systems zu drehen, sondern wieder zu diesem friedlichen Plätzchen zurückzufinden. Das einzige System, das funktioniert, ist das echte System – das wahre System, so wie Gott es geschaffen hat. [11]
Angesichts einer am Boden liegenden Wirtschaft bestand unsere Aufgabe darin,
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