Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
feststellte. [23]
Aber es ist vor allem die zwanghafte Angst der Bewegung vor »erdrückender Regulierung«, die sie am meisten als Produkt des Kleinunternehmergeistes kennzeichnet.
Jahrzehntelang erzählten sich die Amerikaner der Mittelklasse gerne Schauergeschichten über regulatorische Übergriffe des Staates. Sie folgten stets demselben Grundschema: Ein kleiner Unternehmer geht stillvergnügt und ohne jemandem zur Last zu fallen einer ungeheuer wichtigen Tätigkeit nach, bis ihm eines Tages völlig unerwartet die Umweltschutz- oder Arbeitssicherheitsbehörde mit irgendwelchen kleinkarierten Vorschriften kommt. Die einfachsten Realitäten des Lebens werden von einem übereifrigen Bürokraten, der stur seine Regeln durchsetzt, missachtet, Zeit wird vergeudet, Wirtschaftsaktivitäten ausgebremst.
Ganz so als hätte die Regierung nichts anderes im Sinn, als Produktivität zu bestrafen!
Auch in den begüterten Kreisen des Mittleren Westens, in die ich hineingeboren wurde, erzählte man sich gern von übergriffigen Aufsichtsbeamten. Ronald Reagan streute sie auf seinem Weg ins Weiße Haus gern unters Volk. Die Handlung von
Ghostbusters
(1984) nimmt dieses Problem der Kleinunternehmer aufs Korn: Die Umweltbehörde EPA lässt das »Geistergefängnis« schließen, worauf die Probleme ihren Lauf nehmen. Und die Revolution der Republikaner von 1994 wurde maßgeblich von derartigen Anekdoten über Kleinunternehmen beflügelt – jedenfalls, wenn man der Schilderung dieser Revolution durch den damaligen Präsidenten der Handelskammer Glauben schenkt. [24]
Aber es ist nicht mehr so unterhaltsam wie früher, sich Geschichten über die ahnungslose Regulierungswut der Verbraucherschutzbehörde zu erzählen, über die man so gerne spottete. Die Befugnisse dieser Behörde wurden unter der Regierung von George W. Bush so stark beschnitten, dass sie nicht mal mehr in der Lage war, die Verwendung von bleihaltigen Farben bei aus China importiertem Spielzeug zu entdecken. Zahnlose Regulierungsbehörden machten auch erst die schleichenden Verletzungen von Sicherheitsvorschriften möglich, die zur Ölpest im Golf von Mexiko nach dem Untergang der Bohrinsel Deepwater Horizon führte, und sie trugen auch zum Tod der Bergleute in der bereits erwähnten Unglücksmine in West Virginia bei. Die Vorstellung, dass sich ein Bankaufsehertatsächlich mit einer Bank anlegt, ist inzwischen nachgerade ein Witz! Gerade diese Leute bewahrten die Banken davor, dass allzu neugierige Beamte, die etwas gegen die zweifelhaften Machenschaften bei der Vergabe von Hypotheken unternehmen wollten, die Nase in ihre Angelegenheiten steckten.
Der übereifrige Regulator ist vermutlich auch deshalb der Buhmann der Kleinunternehmer, weil sie ihn im Gegensatz zu ihren Kollegen in den Großbetrieben viel näher erleben. Wenn von Deregulierung oder Neoliberalismus die Rede ist, dann meint man damit gewöhnlich die Aufweichung der Bankenaufsicht, den zunehmenden Einfluss einer gewissen ökonomischen Denkschule und die Privatisierung von Staatsaufgaben. Das sind bedeutende Entwicklungen im umfassenden, historischen Sinn, die dem Kleinunternehmer in seinem Kampf mit den Widrigkeiten des Alltags jedoch komplett irrelevant erscheinen mögen. Jemand, der über einer fünfzigseitigen Steuererklärung schwitzt, lässt sich nicht so leicht davon überzeugen, dass der Staat auf dem Rückzug ist und der Markt die Kontrolle übernommen hat.
Und nach 2008 gab es einige gute Gründe zu glauben – und zu befürchten –, dass der Staat erneut in Regulierungswut verfallen könnte. Das augenfälligste Beispiel war das Gesetz zur allgemeinen Krankenversicherung, das Präsident Obama 2010 unterzeichnete. Nicht nur, dass die von ihren Gegnern »Obamacare« getaufte Reform eine in der Tat lästige Bestimmung enthielt, die von Unternehmen das Ausfüllen von Steuerformularen für beinahe jede Ausgabe erfordert hätte (was 2011 schleunigst rückgängig gemacht wurde), es verlangte von Unternehmen ab fünfzig Beschäftigten auch, ihren Angestellten eine Krankenversicherung bereitzustellen, was solche Betriebe um einen ihrer wahrscheinlich größten Wettbewerbsvorteile brachte. [25]
Leute, für die der »Kapitalismus« das System darstellt, in dem sie sich als Installateur oder Vertreter für Landmaschinen mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen, konnten leicht das Gefühl bekommen, dass sich der Staat in diesen Kapitalismus schon genug einmischt. Wenn man »Kapitalismus« hingegen
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