Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
konträr zu den gewohnten politischen Persönlichkeiten verhalten. Wo der normale Politiker Gehässigkeiten an sich abperlen lässt, entwickelten sie und ihre Anhänger eine zunehmende Dünnhäutigkeit. Sie entdeckten Schmähungen in den harmlosesten Bemerkungen von Kommentatoren und diabolisches Kalkül in der Tonlage von Nachrichtensprechern. Sie nahmen aufmerksam Notiz von Stimmen, die kein Mensch ernst nimmt, ihnen entging nicht die kleinste spöttische Bemerkung eines Bloggers oder Promis, sie registrierten jedes alberne Gerücht, das im Internet kursierte. Eine dermit viel Liebe gespickten Biografien der einstigen Möchtegern-Vizepräsidentin hieß rundweg
The Persecution of Sarah Palin,
»Die Verfolgung von Sarah Palin« – sie war im Grunde nichts anderes als ein Katalog jeder Schmähung, die irgendjemand je dieser Frau angetan hatte. Ihr Autor, Matthew Continetti, hat sich offenbar auf die Darstellung von Opferprofilen spezialisiert: In einer Titelgeschichte für den
Weekly Standard
schilderte er die »Verfolgung« der Brüder Koch, zweier der reichsten Männer Amerikas und mit die einflussreichsten politischen Geldgeber, die aber, so berichtet uns Continetti mit großem Ernst, jeden Tag fiese E-Mails erhalten. So sind sie »die jüngsten Opfer der effektiven und gerissenen Cyber-Schmutzkampagne der Linken«. [15]
Geneigte Leserin, geneigter Leser, haben Sie Mitleid mit diesen Milliardären!
Und dann ist da noch der neueste Bestseller von David Limbaugh, ein Buch, das die Debatte um die Gesundheitsreform und die Finanzkrise unter dem Aspekt der Verleumdungen schilderte, mit denen die Demokraten Versicherungen und Bankenindustrie überschütteten. Diese Schmähungen waren »Verbrechen an der Privatwirtschaft«, wie er in mehreren Kapiteln darlegt, die sich, wie der Buchtitel ausdrückt, zu
Crimes Against Liberty
summierten, »Verbrechen an der Freiheit«. Der Autor listet sie detailversessen und vor rechtschaffener Empörung bebend ab. Es gab »Verleumdungen«, es gab »Verunglimpfungen«, es gab »abfällige und aggressive Äußerungen«. Es gab »bösartige Behauptungen« über Ärzte und harsche »Züchtigungen von Wall-Street-Bankern«. Wir haben einen Präsidenten, der »mit Vorliebe auf den amerikanischen Geschäftsleuten herumhackt«, und dann ist da noch Tim Geithners »Chicagoer Machismo«. [∗] »Als das Gesetz [zur Finanzreform] im Repräsentantenhaus eingebracht wurde«, sagte doch dieser Rohling, Zitat: »Wir werden jeden Versuch bekämpfen, es zu verwässern.« [16]
Erzittere, geneigter Leser, vor unserem Finanzminister, der Gesetze durch den Kongress peitscht! Und weine um Amerika, wenn die Liberalen mit ihren unflätigen Worten der Freiheit die rasselnden Ketten der Knechtschaft um ihren zarten Hals legen!
Sollte dies Ihre erste Begegnung mit dem Opfer-Rap der Rechten sein, dann denken Sie vielleicht, nun gut, das ist ein bisschen ätzend, ein nicht sehr überzeugender Versuch, den traditionellen Anspruch der Linken, für die Außenseiter der Gesellschaft zu sprechen, zu konterkarieren. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Sich selbst als die wahren Opfer zu sehen ist ein Wesenszug der erneuerten Rechten. Es gibt wenige politische oder gesellschaftliche Gelegenheiten, bei denen sie sich nicht in die Attitüde der Gekränkten stürzen, Voreingenommenheit beklagen oder sich über ungerechte Behandlung beschweren. Dies kann die merkwürdigsten Formen annehmen. Da müssen plötzlich Generäle getröstet werden. Schöpfer von Arbeitsplätzen müssen von ihren Angestellten geehrt werden. Milliardäre wollen unsere Liebe spüren. Und ehemalige Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses benötigen unsere Sympathie.
Damit meine ich natürlich Dick Armey, der zusammen mit seinem Koautor Matt Kibbe sein »Tea Party Manifest«
Give Us Liberty
um ein Kapitel bereicherte, das jeden Tort auflistet, der ihm und der Tea Party in den vergangenen drei Jahren angetan worden ist. Stell dir vor, Leser, man nannte die von Armey gepäppelte Graswurzelbewegung verächtlich einen »Kunstrasen«. Man leistete doch tatsächlich Widerstand, als die von ihm organisierten Grüppchen Bürgerversammlungen zu sprengen versuchten. Er musste Schimpfworte hinnehmen. Seine Bewegung wurde als rassistisch bezeichnet. Und selbst über seinen Hut machte man sich lustig.
Doch bevor Ihnen über den armen Dick die Tränen kommen: Vergessen Sie nicht, dass er im Kongress eine große Nummer war, bevor er mit dem Erfahrungsschatz,
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