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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Frank
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Günstlinge des Schicksals wie die Minderheiten oder die Armen, die wahren Opfer der Gesellschaft sind.
    Wenn wir uns diesem reißenden Strom nähern, sollten wir auch daran denken, dass er nicht immer ein solch lebhaft dahinschießendes Gewässer war. Die erste Versammlung der Tea Party, an der ich teilnahm, war weitgehend frei von Selbstmitleid, ganz im Gegenteil, sie schmetterte ein klares politisches
j’accuse
heraus. Die Demonstranten hatten sich versammelt, weil ihnen TARP und das Konjunkturprogramm nicht schmeckten. Soweit ich mich erinnern kann, kam niemand auf die Idee, eine Stufe höher einzusteigen und sich darüber zu beklagen, wegen seines Protests verfolgt zu werden. Gut, auf der CPAC, einer jährlich stattfindenden Konferenz konservativer Aktivisten, hörte ich am selben Tag Mitt Romney sagen, er müsse sich beeilen, seine Rede zu Ende zu bringen, »bevor die Bundespolizei kommt und mich wegen Verbreitung kapitalistischen Gedankengutsverhaftet«. Doch die gut betuchte Zuhörerschaft verstand das natürlich: verhaftet wegen Verbreitung kapitalistischen Gedankenguts –
guter Witz
!
    Ein Jahr später hatte das Jammern auf dem nächsten Level die Sache, um die es ursprünglich gegangen war, schon völlig in den Schatten gestellt. Nun protestierten die Leute nicht nur, um ihre Ansichten zu einer bestimmten Frage kundzutun, sondern
aus Empörung über die Kränkungen, die man den Protestierenden zufügte!
Das Sammeln und Kategorisieren dieser Anfeindungen war mittlerweile unter den Anhängern der Tea Party derart zur Obsession geworden, dass es 2010 in einem der ersten Bücher der Bewegung bereits viele Seiten füllte:
That’s No Angry Mob, That’s My Mom
des Radiosprechers Michael Graham. Im ersten Kapitel seines Buchs (»Meine Mutter, die Terroristin«) formuliert Graham eine Theorie des politischen Handelns, die mit liberalen Schmähungen »normaler» Amerikaner beginnt und endet. Wirkliche Probleme streift er nur am Rande.
    Dummer, zurückgebliebener, verlogener Rassist. Wahrscheinlich hat man Ihnen all das und mehr schon an den Kopf geworfen. … Doch eines Tages waren Sie es leid. Sie hatten genug von den ständigen Angriffen auf Privatunternehmen. [!] … Dann gingen Sie zu einer Tea Party, und in diesem Moment haben Sie eine Grenze überschritten. Jeden Morgen nannte die Zeitung Sie nun einen gefährlichen, hasserfüllten Spinner. Jeden Abend erklärten die Fernsehnachrichten Sie zu einem dummen, womöglich gewalttätigen Proleten. Und in der Zwischenzeit machen sich politische Experten und sogar Politiker über Sie lustig und nennen Sie einen »Teebeutler«. [14]
    Das kann man lustig finden, doch worauf es mir hier ankommt, ist die als unproblematisch empfundene Widersprüchlichkeit, mit der hier die Stolzen und Starken, die so gern Lobgesänge auf den Darwinschen Überlebenskampf anstimmen – samt der Freiheit, zuscheitern, und einschließlich Wettbewerb bis zum Tod –, hier der Welt weinerlich den Krieg erklären.
    Selbstmitleid ist ein zentrales Element im Bewusstsein der neuen Rechten. Sich selbst in jeder Situation als Opfer darzustellen ist für sie nicht bloß ein lustiges Umkehrspiel, es gehört wesentlich zu ihrem Selbstverständnis. Sie sehen sich tatsächlich als diejenigen, denen Unrecht geschieht. Daher haben sie sich auch die Fahne mit der Aufschrift »Tritt nicht auf mich« zu ihrem Banner erwählt. Dieser Slogan fasst kurz und bündig die große Verdrehung zusammen, die allem zugrunde liegt, was ich beschrieben habe: der Glaube, dass wir in einem Zeitalter mit stetig wachsendem Linksdrall leben, dass die zunehmend progressive Ausrichtung für die Probleme des Landes verantwortlich ist und dass die einst freie Marktwirtschaft überall in Ketten liegt.
    Man denke an den erstaunlichen Aufstieg des Tea-Party-Lieblings Sarah Palin, der ehemaligen Gouverneurin von Alaska und republikanischen Kandidatin für den Posten der Vizepräsidentin. Selbst wer ihre Karriere enger verfolgte, hätte zu vielen politischen Themen kaum sagen können, welche Position sie einnahm. Aber alle wussten, dass sie ständig verleumdet wurde; wo immer sie im Fernsehen auftauchte und uns anstrahlte, tauchte alsbald irgendein Liberaler auf, der die tapfere Frau beleidigte. Wenn politische Persönlichkeiten für Ideen stehen, dann war Sarah Palin die Verkörperung des Opfers. Schikaniert zu werden war ihr Markenzeichen, ihr Mythos. Aber um zum Opfer schlechthin zu werden, musste Sarah Palin sich völlig

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