Armegeddon Rock
Schmerzen gehabt. »Aber warum?« fragte Sandy. »Was für einen Sinn hatte das?«
»Wegen des Blutes«, sagte sie in vollem Ernst. »Er braucht das Blut für die Visionen. Aber nicht nur das. Er will deine Hilfe, Sandy, er möchte, daß du verstehst. Die Geste hat dir gezeigt, daß er kein Schwindler oder Lügner ist, nicht?«
»Nein«, erwiderte Sandy kurz. »Sie hat mir nur gezeigt, daß er ein verfluchter Masochist und Spinner ist.« Er biß noch ein Stück von seiner Waffel ab und spülte es mit etwas Kaffee hinunter, als er eine Gestalt erblickte, die weit entfernt am Strand entlanglief. Ein großer Hund folgte ihr auf den Fersen, tollte herum und bellte. Der Mann hatte seine Jeans bis zu den Knien hochgekrempelt, um in der kalten Brandung zu laufen. In der Sonne waren seine Haare lang und weiß. Und plötzlich fiel Sandy mit einem Schlag alles wieder ein. »Der Junge!« sagte er. »Hobbins!«
Ananda lächelte. »Du warst ziemlich erregt bei deinem Gespräch mit Edan. Ich hab dich durch die Wand schreien hören. Als die Tür aufging, hast du ausgesehen, als ob du jemandem eine reinhauen wolltest. Und dann hast du Pat gesehen und bist echt ausgerastet. Ich dachte, dir würden die Augen aus dem Kopf fallen.«
Ein Windstoß kam vom Meer und Sandy erschauerte vor Kälte. »Ja? Also ich dachte, ich würde tot umfallen! Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht. Wo wir davon gesprochen hatten, ein Gespenst zu sehen! Ich hab die Filmausschnitte von Hobbins’ Tod ein dutzendmal gesehen, hab ihn blutüberströmt in Faxons Armen daliegen sehen, sein halber Kopf weg und die Hände immer noch um dieses Mikrofon geklammert, bin zu seiner Beerdigung gegangen, und dann macht Morse auf einmal die Tür auf, und da ist er, klein wie zu Lebzeiten, und sieht aus, als wäre er seit West Mesa keinen Tag älter geworden.« Sandy hielt den Kopf in den Händen und seufzte. »Und ob ich von den Socken war! Dein Boß sollte so was nicht machen. Dieser Junge sieht Pat Hobbins ähnlich genug, um sein verdammter Klon zu sein. Wenn ihr ihn auf Faxon genauso loslaßt wie auf mich, wird der Bursche einen Nervenzusammenbruch kriegen.« Bei der Erinnerung daran war Sandy immer noch ein wenig aus dem Gleichgewicht, aber nach und nach lösten sich die Knoten in seinem Magen. Natürlich war der Junge nicht Hobbins. Das war in dem Moment klar geworden, als er den Mund aufgemacht und ein paar Worte gesagt hatte. Er sah nur wie Hobbins aus, und seine Stimme hatte in etwa dasselbe Timbre und denselben Klang und sogar den gleichen Philadelphia-Akzent. Aber die Persönlichkeit war völlig anders, offensichtlich anders. Der echte Patrick Henry Hobbins hatte die meisten jener Charakterzüge gehabt, die so oft mit Genie und Ruhm und ungeheurem Erfolg früh im Leben einherzugehen scheinen: Als Sandy ihn interviewt hatte, war er anmaßend, arrogant, laut und überheblich und oft höhnisch gewesen. Er hatte ein enormes Ego gehabt. Aber der Junge war nichts davon. Er war freundlich und respektvoll, übertrieben höflich und schüchtern. Viermal hatte er gesagt, er hoffe, er sei gut genug für die Nazgûl, und Edan Morse und Ananda hatten es ihm immer wieder versichern müssen.
Larry Richmond. Das war der wirkliche Name des Jungen, wie er zugegeben hatte, als Sandy ihn fragte. Er war in Bethlehem in Pennsylvania geboren, wo sein Vater in einem Stahlwerk arbeitete, war aber in seiner frühen Jugend – nach dem Tod seines Vaters – nach Phillie gezogen. Das erklärte den Akzent. Wie Hobbins war er ein Albino und klein, und wegen seiner Abweichung von der Norm war er häufig verspottet und geschlagen worden. Anders als Hobbins hatten ihn diese Quälereien in seiner Kindheit ängstlich statt hart gemacht. Patrick Henry Hobbins war sein Held. Wie Larry es ausdrückte: »Es gibt nicht viele Albino-Rollenmodelle, weißt du. Der Hobbit war das größte.« Also lernte Richmond natürlich, Gitarre zu spielen und zu singen, und natürlich gründete er eine Band, sobald er dazu fähig war, und natürlich spezialisierten sie sich darauf Nazgûl-Material zu bringen. Larry Richmond sang gut genug, daß er sogar so etwas wie eine Karriere daraus machen konnte; er wurde ein jugendlicher Hobbins-Imitator.
Und dann entdeckte ihn Edan Morse.
Der Rest war Morses Werk gewesen. Richmond hatte nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Hobbins gehabt, eine gleichartige Hautfarbe und Größe, die er ausgenutzt und mit raffinierter Kleidung und ein wenig Make-up verstärkt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher