Armegeddon Rock
Aber kosmetische Chirurgie hatte auf Morses Kosten das Werk der Natur vollendet und die Ähnlichkeit fast übernatürlich werden lassen. Drei Operationen, sagte Larry stolz. Zwischendurch und danach war der Junge in Morses Strandhaus geblieben und hatte seine Rolle gelernt. Sechs Stunden pro Tag verbrachte er in die Nazgûl vertieft; er hörte sich immer wieder ihre Platten an, sah sich Filme und Videos ihrer Konzerte an und studierte jede Bewegung und Intonation von Hobbins. Er nahm Gesangsunterricht, um mehr wie Hobbins zu singen. Er nahm Tanz-und Gymnastikstunden, um sich wie Hobbins zu bewegen. Er las jedes Wort, das je über sein Idol geschrieben worden war, einschließlich des kompletten Hintergrundmaterials von Hedgehog, Rolling Stone und Creem. Er war ein großer Fan von Sandy.
Das Schlimme war, daß er eigentlich ein netter Junge war. Und Edan Morse versuchte wie ein Besessener, ihn auszulöschen. In Morses Haus existierte kein Larry Richmond. Der Junge wurde »Hobbins« oder »Pat« oder »Hobbit« gerufen, und Larry selbst gab mit einem nervösen kleinen Lachen und einem raschen Blick zu seinem Gastgeber reumütig zu, daß er jetzt auf diese Namen verdammt viel schneller reagierte als auf den, mit dem er geboren war.
Sandy lehnte sich in seinen Stuhl zurück – vor ihm wurde sein Kaffee kalt – und sah zu, wie Larry Richmond über den Strand auf sie zukam. Halb gehend und halb laufend spielte er mit dem Hund, einem großen, ausgelassenen Golden Retriever. Der Hund kläffte und bellte, rannte in Kreisen um ihn herum und verspritzte überall Wasser und Sand, und Larry grinste und rief dem Tier Befehle zu, die der große Hund fröhlich zu ignorieren schien. Richmonds Haar, lang, weiß und seidig, bewegte sich mit dem Wind und seinem Laufschritt, und Sandy hatte einmal mehr das Gefühl, als sehe er ein Gespenst. Ein blasses Gespenst mit fahlroten Augen.
»Ich finde immer noch, daß es stinkt«, sagte er über den Tisch zu Ananda. »Hobbins ist tot. Der Junge sollte sein eigenes Leben leben. Morse modelt ihn zu einer Art grotesker Parodie um. Es ist ein makabrer Scherz.«
»Das hast du letzte Nacht auch gesagt«, erwiderte Ananda. »Aber ich dachte, wir hätten dich überredet.«
Sandy schnitt eine Grimasse. »Du hast mir immer noch nicht erzählt, was letzte Nacht passiert ist. Ich weiß noch, daß ich Larry kennengelernt habe…«
»Pat«, korrigierte Ananda.
»Larry«, beharrte Sandy. »Ich hab ihn eine Zeitlang interviewt, und als ich schließlich die ganze Geschichte aus ihm rausgekriegt hatte, hab ich Morse gesagt, was ich davon hielt. Was nicht viel war. Und dann…« Er rieb sich das Genick. »Und dann wird alles verschwommen.«
»Erinnerst du dich, daß du getrunken hast?« wollte sie wissen.
»Äh, ja. Und nein. Ich weiß noch, daß ich ziemlich aus dem Häuschen war, als ich Richmond das erste Mal gesehen hab. Morse hat mir einen Drink gemacht. Scotch on the rocks. Den hab ich getrunken, als ich mit Larry redete.« Er schüttelte den Kopf. »Und dann?«
»Dann hattest du noch einen«, sagte Ananda. »Und danach noch einen. Du hast dagesessen und mit Edan und Pat und mir geredet und getrunken, und nach einiger Zeit bist du ziemlich lustig geworden.« Sie grinste. »Und ziemlich scharf. Edan ging raus, um sich um seine Hand zu kümmern, Pat ging ins Bett, und ich hab das Licht ein bißchen runtergedreht, und wir sind auf der Couch ganz gut miteinander zurechtgekommen, und am Schluß hab ich dich ins Schlafzimmer gebracht und dich ins Bett gesteckt. Du warst ganz schön breit und ein bißchen stoned von dem Shit, den ich aufgetrieben hab, und albern und geil. Wenn du nicht ’ne Menge Spaß gehabt hast, dann hast du aber echt ’ne hübsche Show abgezogen.«
Sandy erinnerte sich an nichts davon. Es war beunruhigend. Es sah ihm nicht ähnlich, sich so vollaufen zu lassen, obwohl er, wenn er es sich recht überlegte, auf dieser ganzen Reise viel zuviel getrunken hatte. Ganz sicher sah es ihm nicht ähnlich, daß er vergessen hatte, mit Ananda ins Bett gegangen zu sein – sie war alles andere als leicht zu vergessen. »Ich komme mir wie ein Idiot vor«, sagte er. »Und außerdem wie ein Tölpel.« Trotz seiner langen offenen Beziehung mit Sharon fühlte er sich vage schuldig, als ob er sie in gewissem Sinne betrogen hätte. Vielleicht war das die Bedeutung des Bildes von ihrem vereisten Gesicht, das seinen Schlaf gestört hatte; seine eigene innere Unruhe, die gekommen war, um ihn zu
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