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Armegeddon Rock

Armegeddon Rock

Titel: Armegeddon Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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weißen Gebäudes auf einem Hügel heraus. Es waren Tausende, jeder mit einer Kerze; überall brannten die Flammen, tapfere kleine Sterne in einem Meer der Nacht, blinkend, zitternd, in zarten gewölbten Händen gehalten. Ober ihnen flackerten die Sterne am Nachthimmel wie Millionen weitere Kerzen. Und dann plötzlich veränderten sich die Sterne. Sie waren keine Kerzen. Sie waren Augen. Eine Million gelber, geschlitzter Augen. Sie sahen zu. Während sie zusahen, tat sich die Dunkelheit weit auf, und graue, gesichtslose Gestalten in Blau und Khaki stürzten herein, und die Kerzen fielen zu Boden und erloschen.
    Aber der längste Traum, derjenige, an den er sich am lebhaftesten erinnerte, war einer, den er zuvor schon geträumt hatte, in jener schrecklichen Nacht in Chicago. Und doch war er diesmal länger, wirklicher und detaillierter gewesen. In einem riesigen, dunklen Saal ging der Tanz für immer weiter. Die Nazgûl waren oben auf der Bühne, sie spielten wieder den »Armageddon/Resurrection Rag«, aber sie sahen grauenhaft aus. Gopher John war grau und entsetzlich verbrannt, und während er spielte, flog Asche von ihm ab. Maggios höhnisches Grinsen war satanisch geworden, und seine Brust war ein Gewimmel von Maden. Faxons Gesicht war auf der einen Seite heiter und hübsch und blutete auf der anderen aus hundert gräßlichen Schnittwunden. Und vorne stand Hobbins in doppelter Lebensgröße und doch irgendwie unwirklich. Sandy konnte durch ihn hindurch zum Bühnenhintergrund schauen, wo eine nackte Frau an ein großes x-förmiges Kreuz genagelt war. Es war eine dünne Kindfrau mit großen Augen, und sie schrie vor Schmerz, während Blut von ihren Brustwarzen tropfte und aus ihrer Vagina die Beine hinabrann. Ihre Stimme klang seltsam vertraut, aber keiner der Tänzer schenkte ihr irgendwelche Beachtung. Froggy war da; er tanzte mit einer Blondine und versuchte, ihr die Hand zwischen die Beine zu schieben. Maggie und Lark tanzten miteinander, immer im Kreis. Bambi saß am Rand, von Kindern umringt, und wartete auf einen Partner. Brennende Männer, Leichen und Frauen mit abgezogener Haut bewegten sich durch das Gedränge der Tanzenden. Und Sandy schrie sie an, warnte sie vor der kommenden blutigen Flut, aber keiner von ihnen hörte zu.
    Ananda riß ihn aus seinem greulichen Tagtraum, als sie mit einem Tablett zurückkam, auf dem eine heiße, duftende Kanne schwarzer Kaffee, zwei Tassen sowie Orangensaft und Waffeln waren. Der Geruch war himmlisch, und Sandy merkte plötzlich, daß er ausgehungert war. »Wollen wir rausgehen?« fragte sie ihn. »Die Sonne brennt den Nebel weg, und es wird hübsch warm.«
    Sandy nickte abwesend, stand auf und machte ihr die gläsernen Gleittüren auf. Draußen stand ein weißer Eisentisch mit drei Stühlen, Ananda stellte das Tablett ab, und Sandy setzte sich auf einen Stuhl. Sie goß ihm eine Tasse Kaffee ein, und er nahm einen ordentlichen, kräftigen Schluck davon, bevor sie auch nur Zeit hatte, die Waffeln zu servieren.
    Sie machte tatsächlich gute Waffeln. Er tränkte seine mit Butter und Ahornsyrup – echtem Ahornsyrup, dem hundertprozentigen, der das Bruttosozialprodukt von Ecuador kostete – und stellte fest, daß er sich nach ein paar Bissen viel besser fühlte. Er sah zu ihr auf. »Hab mich letzte Nacht vollaufen lassen, oder was?« fragte er. »Ich hab keinen Kater, aber ich hatte todsicher ein paar sonderbare Träume.«
    »Keine Träume«, sagte Ananda ernst. »Visionen.«
    Sandy machte jetzt ein finsteres Gesicht. »Visionen?«
    »Erinnerst du dich an nichts davon?« fragte sie.
    »Ich erinnere mich sehr gut an meine kleine Konferenz mit deinem Boss«, sagte Sandy. »Er hat dieses dreimal verfluchte Messer genommen und seine Handfläche halb bis zum Knochen aufgeschnitten und den ganzen gottverdammten Schreibtisch vollgeblutet. Es war eine höllisch denkwürdige Einleitung für ein Gespräch, das kann ich dir sagen. Es hat ihm aber nichts ausgemacht.«
    »Edan hat Methoden erlernt, die den Schmerz vertreiben können«, sagte Ananda. »Er hat mir ein paar davon beigebracht, aber ich bin nicht so gut wie er. Ich kann Zahnschmerzen oder die Schmerzen bei einem Bluterguß durch Willenskraft verjagen, aber Edan kann allem widerstehen, wenn er es will.«
    Sandy glaubte es ihr ohne weiteres. Er wußte verdammt gut, daß die Hand mehr Nerven hat als jeder andere Körperteil außer den Genitalien. Und Morse hatte tief geschnitten. Ein normaler Mensch hätte unerträgliche

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