Armegeddon Rock
allzu schwer. Sein Zorn half. Er war wütend genug, daß der Schmerz nur ein weiterer Stachel zu seinem Zorn war. Seine Gedanken waren fiebrig; Gewitterwolken, die seinen Kopf mit düsteren Phantasien und unmöglichen Plänen erfüllten.
Er durchquerte die flache Leere von Ost-Colorado, ohne sie recht wahrzunehmen, war sich nur der vorbeiziehenden Meilen, des kalten Winds draußen, des Geplärrs im Radio und seiner Wut bewußt. Er fuhr schnell, ließ sich von seinem Zorn treiben und nährte ihn mit Geschwindigkeit. Tagtraum wurde zu einem flachen, bronzenen Geschoß auf der Überholspur, schoß an Personenwagen, Trucks und schlingernden Mietlastern vorbei und schwenkte nur nach rechts, wenn ein langsamerer Raser die linke Spur blockierte. Die Tachonadel kroch nach oben: 75, 80, 85. Und Sandy trieb ihn vor Wut kochend noch schneller voran und dachte an Butcher Byrne. Er war voller Grimm und voller Pläne. Er würde sich Anwälte nehmen und Slum freibekommen. Er würde Jared überreden, Butcher im Heg zu entlarven. Er würde miese Rezensionen über Butchers Bücher schreiben. Er würde etwas tun, irgendwas, alles. Es war ein Skandal, ein Verbrechen. Slum war vielleicht hilflos, aber Sandy nicht. Er würde für Gerechtigkeit sorgen.
Die Straße wurde zu einem Schleier weißer Linien, und das gab der Phantasie irgendwie Nahrung. Hinter dem Steuer von Tagtraum hatte er Macht. Er konnte sie schmecken, fühlen, den sichtbaren Beweis dafür sehen, als er an allem vorbeizog, was in Sichtweite war. Ein schneller Wagen hat etwas an sich, das so etwas bewirkt. Mit einem Lenkrad in den Händen und einem Gaspedal unter dem Fuß entdeckt selbst der allerletzte Verlierer für kurze Zeit seine Fähigkeiten. In einer Welt, die einen so oft frustrierte und dem hilflosen Gefühl aussetzte, daß man doch nichts ändern, nichts tun, nichts bewirken konnte, war der Wagen immer noch dem Willen Untertan. Ein voller Tank, ein freier Highway und eine Box voller Kassetten reichte, um Sandy eine Illusion von Zuversicht zu vermitteln, ihm das Gefühl zu geben, etwas erreichen zu können.
Aber diese Stimmung verrauchte nahe der Grenze zu Nebraska, wo der I-76 in den I-80 einmündete. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Benzin knapp, und die Oldies-Station in Denver, die Sandy eingestellt hatte, war in statisches Rauschen übergegangen. Der Interstate schwang in einer langen, weiten Kurve herum; Tagtraum nahm sie mit knapp über 80 und lag gut auf der Straße. Und dann sah Sandy den Streifenwagen weiter vorne. Aber es war zu spät; sie hatten ihn schon geblitzt, und einer der Cops winkte ihn herüber.
Er kam mit kreischenden Bremsen auf dem Seitenstreifen zum Stehen, kurbelte sein Fenster herunter und nahm den Strafzettel in verdrossenem Schweigen entgegen. Der Cop sah ein wenig besorgt aus, als er ihm den Führerschein zurückgab. »Sind Sie okay, Mister?« fragte er. »Sie sehen nicht allzu gut aus.«
Sandy berührte die Seite seines Gesichts. Es tat weh.
»Es ist nichts«, sagte er. »Aber ich könnte wohl’n Eisbeutel brauchen.«
Der Cop nickte. »Und lassen Sie’s langsamer angehen.«
Er blieb die ganze Strecke bis zur nächsten Raststätte, wo er abfuhr, knapp unter 60. Eine Tankfüllung für Tagtraum und etwas Eis für sein Gesicht – eine pummelige Kellnerin hatte Mitleid mit ihm –, während er drei Tassen Kaffee trank und ein halbes Stück Heidelbeerkuchen aß. Draußen wurde es dunkel, während Sandy die Zeit vertrödelte, und mit dem schwindenden Tageslicht schwand auch sein gerechter Zorn.
Es war alles eine Täuschung, dachte er. Man fährt zuversichtlich und sicher dahin, und sie halten einen an. Sie warten immer irgendwo ein Stück weiter an der Straße, mit Lichtern und Sirenen und Schußwaffen, warten immer darauf, einen anzuhalten, und man kann nichts dagegen machen, ganz gleich wie viele Burt Reynolds-Filme man gesehen hat. Und er konnte auch gegen Butcher Byrne nichts machen. Er konnte sich einen Anwalt nehmen, und Butcher würde sich einen besseren besorgen, ein ganzes Bataillon von ihnen, und Butcher würde gewinnen. Gerechtigkeit hatte vor Gericht überhaupt nichts zu bedeuten. Er konnte Slum mit Gewalt herausholen, und Butcher würde ihn einsperren lassen. Er konnte etwas schreiben und sich eine Verleumdungsklage einhandeln. Was hatte das für einen Sinn, verdammt? Die Macht lag voll und ganz auf der anderen Seite.
Das Eis half seinem übel zugerichteten Gesicht ein bißchen. Er konnte den Kuchen nicht aufessen, aber
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