Arminius
Selbst die Häuser dieser groben Menschen ermangelten jeglichen Stils, jedweder Bequemlichkeit. Sie erinnerten ihn an Ställe, die man freilich etwas zu groß gebaut hatte. Vielleicht waren diese Barbaren auch nichts anderes als Vieh, den Rindern in ihrer Art näher als den Römern.
Bald schon würden sie die Albis erreichen. Doch dafür, dass sie durch das Gebiet kriegerischer Barbaren zogen, blieb es, befand Julius, geradezu langweilig ruhig. Die Legionäre jedoch wurden von dem Gefühl verfolgt, Tag und Nacht von tausend Augen beobachtet zu werden. Aber immer wenn sie eine Siedlung erreichten, fand sich weder Vieh noch Mensch in den Anwesen. Zogen sie denn durch ein Geisterland? Wo steckten bloß die Barbaren, die es gewagt hatten, römische Legionäre zu kreuzigen?
Der neunjährige Knabe schaute zu seiner Mutter herüber. Antonia saß mit einer chaldäischen Sklavin am Tisch und ließ sich die Zauberstäbchen legen. Auch ihn interessierte der Ausgang des Orakels. Seine Mutter sehnte sich danach, nach Rom zurückzukehren, und sie hatte auch vor ihrem Sohn keinen Hehl aus ihrem Wunsch gemacht, einem Wunsch, den er inzwischen sogar teilte.
Von der fiebrigen Aufregung, die ihn erfasste, als sie ihm vor einem halben Jahr mitgeteilt hatte, dass der Vater sie auf den Feldzug mitzunehmen gedächte, war nichts außer quälender Langeweile geblieben. Die Legionäre würden eher an der Eintönigkeit als durch den Speer eines Feindes sterben, spottete schon das Kind. Jedes Kriegsspiel mit seinen Freunden in der Hauptstadt des Imperiums gestaltete sich gefährlicher als dieser sogenannte Feldzug seines Vaters.
»Heimkehr steht bevor«, las die Sklavin aus den Stäbchen.
»Wie wird die Heimkehr sein?«, fragte Antonia.
»Ich weiß es nicht, hier heißt es nur Heimkehr. Was aber ist das Heim des Kriegers?«
Antonia lächelte. »Unser Palast auf dem Palatinus. Ach, um wie viel schöner ist doch Rom!«
Julius schlummerte ein, als die Sklavin ein ebenso langes wie sehnsuchtsvolles Lied mit unzähligen Strophen sang, das von ihrer Heimat handelte.
Unterdessen ließ das Heer die Berge und dichten Wälder hinter sich und durchquerte eine fruchtbare, von Flüssen durchzogene Ebene mit vielen Siedlungen. Jemand rüttelte sacht an Julius’ Schulter. Nur widerwillig schlug er die Augen auf und blickte in das lächelnde Gesicht seiner Mutter. »Steh auf, mein Sohn. Dein Vater will dich bei sich haben.« Ein Centurio, der neben dem Wagen ritt, hob den Jungen auf sein Pferd.
»Keine Angst.«
»Hab ich nicht.«
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel. Und es war warm, fast so warm wie in Rom, nur dass ihm seltsamerweise das Sonnenlicht und der Himmel dunkler vorkamen und die Luft über diesem Land undurchdringlicher und schwerer. Sein Lehrer Salvianus hatte ihm erzählt, dass die Götter die Barbaren dieses Landstrichs wohl deshalb gröber, größer und kräftiger bauten, weil die Atmosphäre des Nordens schwerer auf den Gliedern seiner Bewohner lastete als das duftige Firmament des Südens. Als Julius und sein Begleiter auf der Höhe des Vaters anlangten, der sich mit dem Legaten Galerius unterhielt, entdeckte Julius den breiten Fluss, der in schönen Bögen majestätisch in der Landschaft lag.
»Die Albis, mein Sohn«, sagte der Feldherr und fügte hinzu, »dieser Fluss wird uns zum Schicksal werden.« Das waren die Worte des Feldherrn Drusus, als er in den Kalenden des Augusts den sagenumwobenen Strom erreichte.
Julius hatte bereits davon gehört, dass hinter dem Fluss der geheimnisvollste Teil Germaniens lag. Niemand ahnte auch nur, wie weit dieser reichte, lediglich eines war bekannt, dass sich nämlich irgendwann das Land der Skythen und der Sarmaten anschließen musste. Die Landschaften hinter der Albis aber hatte noch kein Bürger des Imperiums betreten, nicht einmal ein Kaufmann, und die gingen sonst überall hin. Salvianus hatte ihn gelehrt, dass jenes Gebiet hinter dem Fluss als das heilige Land der Germanen galt. Von dort stammten alle germanischen Stämme, von dort brachen sie in Horden auf, um sich über die Welt zu verbreiten. Vor einem Jahrhundert war es sogar zwei ihrer Stämme, den Kimbern und Teutonen, geglückt, bis nach Italien vorzudringen. Unterwegs hatten sie mehrere römische Legionen massakriert und die Anführer ihren Blut saufenden Göttern geopfert.
Dem Sohn des Drusus setzte unterdessen tüchtig die Neugier zu. Er verzehrte sich danach, einen Blick auf die mysteriöse Landschaft zu erhaschen,
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