Arminius
Ohnmacht nicht mehr erwacht und dem Tod inzwischen weit näher als dem Leben war, nackt ausgezogen, auf das Lager gebettet und mit dem noch blutigen Fell eines frisch erlegten Bären, das noch seine Lebenswärme bewahrte, zugedeckt hatte, schloss sie mit den letzten vier Felssteinen von innen den Steinkreis um die magische Behausung und errichtete damit eine Grenze zur alltäglichen Welt, in der die anderen Menschen lebten. Mit einer Laubtür schützte sie nun auch den Innenraum der Hütte vor den Blicken und Einflüssen der Außenwelt.
Mit Wurzelwerk, Kräutern, Eicheln und Kastanien entfachte sie ein Feuer. In dem Kessel bereitete die Magierin aus anderen Kräutern und Stechapfelsamen, aus Getier und Wurzeln einen Trank. Dem Gebräu entstiegen Dämpfe, die immer undurchdringlicher die Hütte einnebelten und sie mit einem stechend süßlichen Geruch erfüllten. Zuvor hatte die weise Frau dem fiebernden Jungen mit einem Umschlag mit kaltem Quellwasser die Stirn zu kühlen begonnen. Dazu sang sie heilende Formeln.
Ergimers schmaler Körper zuckte wild unter tausend unsichtbaren Schlägen und bäumte sich schließlich auf, dann wich alle Kraft aus ihm, und sein Atem ging unhörbar flach. Die Zeit stand still. Während sich all das ereignete, lag auch Nehalenias Körper in einer Starre am Boden.
Ergimer lag zwar wie tot da, aber sein Geist regte sich. Viel deutlicher als in einem Traum sah er sich an der Hand einer großen Frau durch den Nebel gehen, vorbei an dem Wipfel einer hohen Eiche, unter der ein schwebender Hirsch graste. Der Sohn des Gefolgsherrn wunderte sich, dass er durch die Luft schritt. Aber er kam nicht dazu, weiter darüber nachzusinnen, denn schon trat ihnen Nehalenia in den Weg. Sie sagte:
»Wart, Walachurrâ!
Voreilig bist du.
Sieh mich kommen,
Das Kind zu holen,
Welches dir nicht gehört.«
Die große Frau ließ seine Hand los und verwandelte sich in eine Wölfin, die Nehalenia anknurrte. Aber die Idise ließ sich nicht beeindrucken und sagte sanft zu ihm: »Komm zu mir, Ergimer. Hab keine Angst. Es ist noch nicht Zeit für dich. Komm zurück. Auf dich warten große Aufgaben.«
»Bleib bei mir! Was soll schon dort auf dich warten außer Not, Qual und Drangsal, Siechtum und Schmerz?« Die Augen der Wölfin glühten. Ergimer erschrak. Schon wollte die Wölfin sich auf Nehalenia stürzen, die sich in einen riesigen Hirsch mit gewaltigem Geweih verwandelt hatte, da trafen Wotans Raben Hugin, Gedanke, und Munin, Erinnerung, ein.
Und Hugin begann zu sprechen: »Ich erinnere mich nicht, dass jemals Blut in der Nähe der Irminsul vergossen wurde. Was niemals war, darf niemals sein!« Und Munin fügte hinzu: »Das Kind soll entscheiden, ob es mit Walachurrâ nach Tyrwal oder mit Nehalenia in das Haus seines Vaters gehen will. Es ist deine Entscheidung, Ergimer.«
»Aber erwartet man mich nicht zurück?«
»Was man von dir erwartet, geht dich nichts mehr an. Ausgelöscht sei die Erinnerung, verflogen die Ansprüche. Nur dein Entschluss zählt«, erklärte Munin, und Hugin riet: »Du bist gleich weit vom ewigen Haus der Krieger Wotans entfernt wie vom Haus deines Clans. Lehnst du jetzt ab, kann es sein, dass dich eines Tages Hel in die Unterwelt verschleppt. Wer weiß schon, was sein wird. Entscheide dich!« Dann wandten sich beide an die Wölfin und den Hirsch: »Und ihr haltet euch heraus. Es ist allein der Entschluss des Knaben. So will es Wotan! Lenkt nicht seinen Zorn auf euer Haupt!«
Augenblicklich nahmen die beiden Frauen wieder Menschengestalt an, und Walachurrâ trat zurück. Mit wem sollte Ergimer gehen, das ewige Leben in Wotans Nähe wählen oder die Mühsal des Daseins auf Erden? Wie durch einen Nebel sah Ergimer seinen Vater, der die Legionäre abschlachtete, wie er mit Langmesser und Doppelaxt durch die Reihen schritt und wie ein geschickter Sensenmann den Feind niedermähte. Mühelos, fast elegant sah er bei dieser Arbeit aus. Dann stand der Vater vor dem Centurio. Der erhob sein Schwert, doch Segimer hatte es mit seinem Langmesser zur Seite geschlagen und ihn anschließend mit der flachen Seite der Doppelaxt vor den Kopf geschlagen. Der Centurio sackte zusammen. Der Gefolgsherr wandte sich um, die Männer hatten alle bis auf elf Legionäre massakriert.
»Lasst uns Kreuze errichten!«
Rasch waren elf Bäume gefällt und von Ästen befreit. Die Cherusker suchten ein paar starke Zweige, die sie quer an den Stämmen befestigten. Dann wurden die Legionäre mit geschnitzten Holzkeilen
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