Arminius
ruhig, der Arzt ist gleich hier«, versuchte Galerius, seinen Vorgesetzten zu beruhigen. Und wirklich, er hatte kaum ausgesprochen, da beugte sich der Heilkundige auch schon über den Verletzten. Julius hörte, wie der Arzt sagte: »Der Unterschenkel ist mehrfach gebrochen. Wir müssen das Bein schienen und ihn in der Kutsche transportieren.« Drusus stöhnte vor Schmerzen auf. »Tu, was nötig ist!«
Um die Unglücksstelle bildete sich rasch ein Ring aus den Befehlshabern des Heeres. Die Nachricht vom Sturz des Feldherrn hatte sich offenbar in Windeseile verbreitet. Julius schaute auf den Vater. Sein Zorn auf ihn saß so tief, dass er das Mitleid für den Mann mit dem schmerzverzerrten Gesicht niederzuringen versuchte. Recht geschah dem Feigling, dachte der Junge trotzig und erschrak im gleichen Moment, weil er sich an den Fluch der germanischen Priesterin erinnerte. Nun schämte sich der Sohn so sehr für seine Häme, dass er es in der Nähe des Vaters nicht mehr aushielt. Von Schuldgefühlen getrieben riss er sich von der Hand der Mutter los, boxte sich durch den Ring der umstehenden Legionäre und lief so schnell, wie ihn seine kurzen, aber flinken Beine trugen, zum Wagen hinauf. Die chaldäische Sklavin folgte ihm.
Aus sicherer Entfernung beobachtete Julius nun das Treiben am Fuß des Abhangs. Zwei Legionäre fertigten aus zwei Lanzen und einem Stück Tuch eine Behelfstrage, mit der sie den Feldherrn zum Bergkamm brachten. Antonia und der Arzt folgten ihnen. Als die Soldaten mit ihren Körpern den schweren Reisewagen durch den aufgeweichten Boden nach oben wuchteten, hörte Julius, wie einer der Männer wütend durch die Zähne presste: »Auch das noch!« Er begriff, dass die Legionäre den Sturz als eine Strafe der Götter empfanden. Sie glaubten, dass an der Albis die römischen Götter, Jupiter und Mars, Hermes, aber auch Mithras, von den germanischen Gottheiten gedemütigt worden waren. Nun nahmen die Unsterblichen Rache dafür. Julius war rege genug im Geiste, um das alles mitzubekommen, und es schnürte ihm das Herz ab. Am meisten verstörte ihn aber, dass er den Legionären Recht geben musste, und das erfüllte das Herz des Jungen zum ersten Mal in seinem Leben mit Bitterkeit, ja mit Verzweiflung.
Sobald die Kutsche oben angekommen war, bettete man den Imperator in das Gefährt. Die chaldäische Sklavin stieg ein, während Julius unschlüssig an der Tür stehen blieb und seine Mutter beobachtete, die mit Galerius und dem Arzt sprach. Er konnte zwar nicht verstehen, worüber sie redeten, doch beobachtete er, wie sich Antonias Gesicht verdüsterte. Lange schaute sie den Legaten nachdenklich an, dann entfuhr es ihr ungewollt so laut, dass Julius es hören konnte: »Gebt Tiberius Bescheid!«
Nachdem sie sich zu diesem Befehl durchgerungen hatte, nahm sie ihren Sohn an die Hand und bestieg die Kutsche. Seit der Flucht von der Albis waren sie zur Beute des Unglücks geworden.
Den Rest des Weges bis zum Militärlager Aliso legte Drusus bei Frau und Sohn im Reisewagen zurück. Er fieberte heftig und konnte sich kaum noch aufrichten. Man sah ihm an, dass er stündlich an Kräften verlor. Galerius hatte das Kommando übernommen.
In Julius kämpfte die Angst um den Vater mit der Verachtung für den Feigling. Wenn er doch nur schon groß genug gewesen wäre, wie gern hätte er dessen Schmach ausgelöscht und die Legionen über den Albis geführt, aber ach, noch war er zu jung dafür! So wollte er möglichst viel lernen, um eines Tages die Schande des Rückzugs wettzumachen. Das schwor sich der Knabe in diesen Tagen und Stunden. Eines Tages würde er zu dem Fluss zurückkehren und ihn überwinden und alles Germanenland jenseits des Stromes unterwerfen, heilig oder nicht.
So selten es irgend ging, hielt er sich in der Kutsche auf. Die Verachtung empfand sich leichter, wenn er den leidenden Vater nicht sah. Deshalb zog er es vor, bei Salvianus auf dem Pferd zu sitzen und den Lehrer auszufragen. In jenen entsetzlichen Momenten an der Albis benutzte Drusus Worte, die Julius nicht kannte.
»Sag, Salvianus, wer sind die germanischen Parzen?«
»Die Barbaren nennen sie Nornen, und sie heißen Wurt, Werdandi und Scult. In ihrer Hand liegt das Schicksal der Menschen. So stehen sie über den Göttern, die gleichfalls vom Schicksal abhängig sind, von dem ewigen und unauflöslichen Ineinander von dem, was geschehen ist, und dem, was geschieht, und dem, was geschehen wird. Die Germanen glauben, man kann nur sein
Weitere Kostenlose Bücher