Arminius
Schicksal annehmen oder sich dagegen auflehnen, wenngleich noch die wenigsten dem Fatum erfolgreich getrotzt hätten. Manchmal aber ist der Trotz gegen das Geschick nichts anderes als das verkleidete Wirken der Vorsehung selbst.«
Julius hatte gehofft, dass die Antwort des Lehrers ihm das rätselhafte Verhalten des Vaters erklären würde, aber sie nahm ihm leider nicht die Ungewissheit, die ihn quälte, sodass er auf einen anderen Weg versuchte, Drusus zu verstehen.
»Hältst du meinen Vater für feige?«
»Er ist Roms bester und kühnster Feldherr!«
»Belüg mich nicht, Salvianus!«, drohte der Knabe.
»Ich lüge nicht. Das ist die Wahrheit.«
Julius schüttelte heftig den Kopf. Wie vertrug sich der strahlende Ruf des Imperators mit seinem schmählichen Verhalten am Germanenfluss?
»Ist die Angst eine Krankheit? Ist sie so mächtig, dass sie einen Helden wie meinen Vater mit einer solchen Gewalt packen kann, dass er im gleichen Moment ein anderer wird? Kann die Angst einen Adler in einen Wurm verwandeln, Salvianus?«
Seltsamerweise hörte der Regen, der sie die ganze Zeit wie ein ungemütlicher Geselle begleitet hatte, auf, und langsam, doch stetig kam die Sonne zum Vorschein, die die Wassertropfen auf den Gräsern und Blättern zum Glitzern brachte. Aus den Augenwinkeln nahm Julius wahr, dass seine Mutter aus dem Reisewagen schaute. Gleich würde sie ihn rufen.
»Los, Salvianus, gib dem Pferd die Sporen, lass uns zu Galerius an die Spitze der Legionen reiten.«
Und bevor Antonia noch den Mund auftun konnte, entschwand der Sohn ihrem Blick.
»Nein, nein, nein! Du bist der Römer, und ich bin der Cherusker!« Zornig stampfte das Mädchen mit dem Fuß auf.
Klar und blau wie der grenzenlose Himmel waren die Augen der achtjährigen Tochter des Fürsten Segestes. Doch jetzt funkelten sie gefährlich. Ergimer kannte und fürchtete dieses Feuer, das zuweilen plötzlich und ohne Vorwarnung in ihnen aufloderte.
»Was macht es dir schon aus, den Römer zu spielen? Sind sie nicht die Freunde deines Vaters?«, hielt er ihr triumphierend entgegen.
Er hatte kaum ausgesprochen, da klatschte es nahe an seinem linken Ohr, und er fühlte einen brennenden Schmerz auf seiner Wange.
»Wag es nicht, jemanden aus meiner Familie zu beleidigen! Wir sind keine Römersklaven!« Elda deutete auf eine knorrige Eiche jenseits des Baches und rief mit immer noch vor Erregung zitternder Stimme: »Der Schnellere soll der Cherusker sein, die Schnecke der Römer. Wer zuerst an der Eiche ist!« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte sie los. So sah er nur noch ihre nackten Füße, die über die Wiese zu fliegen schienen.
Keiner der gleichaltrigen Jungen verstand, warum er sich mit einem Mädchen abgab, und dann noch mit einem, vor dessen Wildheit sich die Knaben heimlich fürchteten. Aber er ertrug deren Spott, denn Elda war kühner und klüger als sie alle zusammen. Niemand verstand Ergimer so gut wie Elda und Elda keiner so wie Ergimer. Sie war ihm ebenbürtig, ihr Spiel ein ewiger Wettkampf, ein einziges Kräftemessen. Wer wusste schon, wer diesmal gewinnen würde?
In der länglichen Senke zwischen den beiden dicht bewaldeten Bergen hielt sich im schweren Boden das Wasser, und so strotzten trotz des heißen Sommers das Gras vor Grün und die Blumen vor Farbe. Zudem hatte es in den letzten Tagen unaufhörlich geregnet. Myriaden von Mücken tanzten im Sonnenlicht. Weit zog sich das Tal zwischen den beiden Gebirgsstöcken hin, bis es sich schließlich zu einem Hohlweg verengte, der in die bewaldeten Ebenen des Albiavorlandes führte. Was die Römer Albis nannten, hieß bei den Germanen Albia, der weiße Fluss. Viel zu weit für die Kinder, die versprochen hatten, in der Nähe des Thingplatzes zu bleiben.
Wenn wichtige Fragen anstanden, die alle Cherusker betrafen, versammelten sich die zwölf Stammesfürsten wie nun auch außerhalb der festgelegten beiden Termine im Jahr im Heiligtum des Irmintyr, des großen Gottes Tyr. Dieses Land war uraltes Cheruskerland. Die Berge und Täler, die Felder und Flüsse hatte der einarmige Gott Tyr seinem Sohn Ergimer geschenkt, dem Stammesahn der Cherusker, jenem ersten Ergimer, dessen Name der Junge trug.
Nur eines unterschied dieses Thing von den anderen: Lanina hielten die Aufräum-und Reparaturarbeiten, die durch die Verwüstung der Römer notwendig geworden waren, zu Haue fest.
Ergimer hatte Mühe, Elda zu folgen. Kein Gedanke daran, sie gar einzuholen, dennoch rannte er, so schnell er
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