Arno-Linder 1: Papierkrieg
zugetraut.«
»Also sag, warum bist du zu mir gekommen, und komm mir jetzt nicht wieder mit dem Kartenspruch.«
Sie beugte sich vor, baute drei Jobs zusammen und begann, das knisternde Papier zu füllen. Offenbar hatte sie bereits vorgesorgt.
»I hab halt sonst net gwusst wohin.« Sie drehte das Papier geschickt, besser als ich das gekonnt hätte, und leckte die Gummierung ab. Ihre Zunge war gepierct. Dann rollte sie zusammen und drehte die Spitze zu.
»Komm, sei ehrlich. Sag die Wahrheit.«
»Des is die Wahrheit. Wüllst aa a Blech, wenn i schon zun Kühlschrank geh?«
Heute war eh schon alles egal.
»Gut, bring mir auch eins mit.«
Sie stand auf und schwang ihre Kurven durch die Wohnung. Ein paar Augenblicke hielt sie mir die Dose ins Gesicht, als ich sie genommen hatte, setzte sie sich auf die Couch. Mit untergeschlagenen Beinen, ein wenig vorgebeugt.
»Du kennst doch Hunderte Leute in Wien, warum bist du nicht zu denen, oder zu deiner Familie?«
»Durt bin i tschari gangan, deswegen kann i ja a net zur Kiberei, sonst muaß i zruck.«
»Zurück musst du gar nicht, über 18 ist man erwachsen.«
»Des dauert aber no zwa Wuchn.«
Der Schlag saß.
»Du bist erst 17?«
»Eh, sicher, was hastn du glaubt?«
»Also willst du zwei Wochen warten und dann zur Polizei gehen?«
»Was du immer hast mit deine Kiberer. Wenn i 18 bin, kann i mir an Job suchn und a Wohnung derzahln. So einfach is des. Wenn i ma jetz a Hockn suach, bringen’s mi zrück ham.«
Inzwischen hatte sie einen ersten Schluck aus ihrer Dose genommen und sich den Joint zwischen die Lippen gesteckt.
»Ganz glaub ich dir noch immer nicht. Wenn du den Berti sitzen hast lassen, weil er dich misshandelt hat, warum hast du dann nichts mitgenommen? Kein Gewand, kein Geld, gar nichts? Du bist doch nicht blöd.«
»I hab einfach net dran gedacht.«
»Hör auf mit dem Blödsinn. Das hat einen ganz anderen Grund, dass du abgehauen und zu mir gekommen bist. Also sag mir, was ist los?«
Sie gab sich selbst Feuer und nahm einen langen Zug. Sie hielt die Luft an und atmete ganz sachte aus. Dann reichte sie mir den Joint und nippte an ihrer Dose. Gleich darauf heizte sie sich eine Marlboro an.
»I sag do, i hab net denkt.«
»Wenn du irgendein Mädchen wärst, das noch mit Barbiepuppen spielt und von der großen Liebe mit Hochzeit in Weiß träumt, würd ich dir das vielleicht abkaufen. Aber du bist 17, von daheim abgehauen und sicher schon seit Jahren selbstständig. Dann willst du mir erzählen, du verlässt den Berti, der Kohle hat wie Heu, bei dem das Koks auf dem Tisch liegt und das Bier kartonweise im Kühlschrank steht, ohne irgendetwas mitzunehmen? Keine Wäsche, kein Geld, keinen Schnee, nicht einmal genug Geld für Zigaretten? Das glaubst du doch selber nicht.«
Ich nahm einen tiefen Zug und wartete auf ihre Antwort. Sie fuhr sich mit der Hand durch die schmutzigblonden Haare, ballte sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz und ließ sie wieder fallen. Als sie mich anschaute, war aus der erwachsenen Frau wieder ein kleines Mädchen geworden. »Ja, du hast ja recht. Aber versprich mir, dass ich dableiben darf, und dass du mir hilfst.«
»Ein Versprechen ist auch nur ein Wort.«
»Komm schon, du bist ehrlich.«
»Gut, du darfst bleiben.«
»Der Berti ist nämlich tot.« Daraufhin begann sie zu schluchzen.
Ich legte meinen Arm um sie und versuchte sie mit ein paar Worten zu trösten. Sie legte den Kopf an meine Schulter und weinte sich aus. Als sie sich soweit beruhigt hatte, begann ich, ihr sanft ein paar Fragen zu stellen.
Sie war vom Einkaufen nach Hause gekommen und hatte die Wohnungstür offen vorgefunden. Daraufhin hatte sie die Einkaufstasche abgestellt und war vorsichtig in die Wohnung geschlichen. Dort war alles still gewesen und der Berti saß auf der Couch. Vor ihm ein Bier und in der Rechten eine Marlboro, die sich inzwischen tief in seine Finger gebrannt hatte. Der Kopf lag schräg auf der Schulter und sein weißes Feinrippleiberl war voller Blut. Daraufhin war sie Hals über Kopf aus der Wohnung geflohen. Als ich fragte, wer das denn gewesen sein könnte, zuckte sie nur mit den Schultern und sagte: »Jeder.«
Als das Bier alle war, machte ich ihr ein neues auf und wir saßen noch länger auf der Couch und redeten, hörten Musik und kifften. Irgendwann gingen mir die Lichter aus.
Am nächsten Morgen stellte sich mir ernsthaft die Frage, ob ich noch lebte. Ich hatte keinen Kater, der Schwindel und das drückende Kopfweh waren
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