Arno-Linder 1: Papierkrieg
gelegt und tröstete ihn. Ein paar Minuten schwiegen wir für Slupetzky. Ich bedauerte, dass ich ihn nie kennengelernt hatte.
Normalerweise ist das ›de mortuis nihil nisi bene‹ nur ein Spruch und sobald einer in der Kiste liegt, schimpfen alle wie die Spatzen, aber von Slupetzky war wirklich nur Gutes zu hören.
»Sonst hatte Slupetzky keine Bekannten?«
»Mirko war Einzelgänger. Aber da war noch ein Wiener. Groß, blonde Haare, so kraus und mit rot-blaue Gurke im Gesicht. Der war öfter dabei, netter Kerl, Zuhälter, glaub ich.«
»Mike?«
»Ja, der. Sauft wie Fisch, aber gutter Kerl.«
»Ja. Mike ist in Ordnung. Von den Russen, haben Sie da jemals einen gesehen? Oder einen Namen gehört? Hatten die vielleicht einen Kontaktmann in Wien? Jemand, der hier ihre Interessen vertrat?«
»Nie eine Russa gesehen, war da immer nur Überweisung und Transport mit Spediteur oder Bahn.«
»Am Flughafen nicht?«
»Mirko wollte, aber Weichbirn ich nix vertrauen. Ich war für Kunst zuständig und Mirko für Geschäft, so war das.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer ihn denn auf dem Gewissen haben könnte?«
»Hm, ich sage, Koksbirne war’s.«
Auch Sonja nickte zustimmend.
»Woher hatte Mirko das Geld für das Computergeschäft, oder haben Sie so viel mit Ikonen verdient?«
Mihailovic sah mich unschlüssig an.
»Bender?«
»Ja, Bender. Auch sehr gefährlich. Aber nicht so blöd wie Koksbirne. Der macht keine Blödsinn, der macht Geld.«
Ja, Mihailovic kannte Bender wirklich.
»Sie haben mir sehr geholfen. Danke wirklich vielmals. Hier haben Sie meine Karte. Wenn Sie wollen, kenne ich jemanden, der sich für Papyri interessieren würde. Der auch das Geld hat und sehr diskret ist. Soll ich dort einmal anfragen?«
»Ja, verkaufen von die Ding ist sehr schwer. Sehr illegal und sehr vorsichtig muss sein.«
»Keine Sorge, bin ich schon. Und kein Wort zu niemandem!«
Beide nickten. Wir tauschten Kontaktadressen und Telefonnummern aus. Schließlich stand ich auf, schüttelte ihm die Hand, bedankte mich für Kaffee und Gastfreundschaft. Dann verschwand ich durch die Tür.
VII
Bis Laura voraussichtlich Feierabend machen würde, hatte ich noch ein wenig Zeit, also ging ich die zehn Minuten zu Fuß nach Hause. An der Stadthalle vorbei, durch den Reithoferpark, am Café Mostar vorbei in die Felberstraße. Zu Hause zog ich mich aus, wusch und rasierte mich und zog mir ein frisches Gewand an. Suchte meine besseren Schuhe raus, überprüfte alles im Spiegel und machte mich auf in die Innenstadt. Gegenüber von Lauras Kanzlei setzte ich mich ins Alt Wien, in eine Fensternische, von der aus ich eine gute Sicht auf die Straße hatte, und bestellte einen großen Mokka.
Das Alt Wien ist ein klassisches Studentencafé. Verraucht und gemütlich, die Wände vollgekleistert mit Veranstaltungsplakaten der letzten 30 Jahre. Auf den Tischen aus falschem Marmor wird ausgezeichneter Kaffee serviert. Ich zahlte gleich, schließlich wollte ich sofort aufbrechen, wenn Laura käme. Dann holte ich meinen MP3-Player aus meinem Jackett, suchte mir ein Lied heraus und drückte auf Play.
Ich hörte Jimi Hendrix, die Aufnahme aus der Royal Albert Hall, in der er den Blues vom ›Bleeding Heart‹ spielt. Das Stück beginnt mit einem drei Minuten langen Solo, das ähnlich wie eine Sonatensatzform aufgebaut ist. Es gibt zwei klassische Bluesthemen, die ein Frage-Antwort-Schema bilden. In mannigfaltigen Variationen kehren sie immer wieder, die Überleitungssequenzen sind teilweise in klassischen Tonfolgen gehalten, die im zweiten Teil des Songs als Antworten zu den Textzeilen vorkommen. Das Ganze schließt mit einer todtraurigen zweiten Solo-Arie, die wieder in ein Wechselspiel mit dem Gesang eintritt, aber nicht so klar strukturiert ist wie die erste. Reines Feeling, reine Trauer.
Als Jimi mit den Worten ›My girl caused my heart to bleed‹ schloss und noch einen letzten Gitarrenseufzer folgen ließ, tauchte Laura auf der anderen Straßenseite auf. Draußen hatte es zugezogen und die Tropfen fielen hart und kalt vom Himmel. Es wurde langsam dunkel zwischen den alten Häusern. Ich verstaute den MP3-Player und ging hinaus.
Laura eilte auf der anderen Straßenseite, eingewickelt in einen knielangen Mantel in smaragdgrün, Richtung Postgasse. Sie hatte den Kragen hochgestellt und versuchte, so gut es ging, Regen und Wind zu entwischen. Der Gehsteig war nass und die Pumps, die sie trug, machten die Sache sicher auch nicht besser. Mit ein
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