Arno-Linder 1: Papierkrieg
endgültigen.«
Ich setzte mich wieder. Kaum hatte ich geendet, sprang Dittrich auf, die Glut seiner Zigarre war unregelmäßig, vor Aufregung hatte er zu stark gezogen. »Sie kommen zu mir, um mir ein gestohlenes Papyrus unterzujubeln, mit wer weiß was für einer Vorgeschichte und sprechen von Seriosität? Machen Sie sich nicht lächerlich, Herr Linder!«
Ich blieb ruhig sitzen, schlürfte an meinem Kaffee, er war längst kalt.
»Wenn ich dieses Papyrus kaufe, kann ich nichts damit anfangen. Wer weiß, wann die Polizei kommen würde!«
»Beruhigen Sie sich doch und nehmen Sie wieder Platz.«
Dittrich machte noch ein paar Schritte im Raum, bevor er sich erneut auf seine Chaiselongue fallen ließ.
»Sie werden den Papyrus besitzen, nur Sie allein. Wenn Sie wollen, dann können Sie auch einem ausgewählten Kreis gegenüber davon Gebrauch machen. Wenn Sie vorsichtig sind, wird niemand Sie behelligen.«
Dittrich hing mir an den Lippen wie ein Kind seiner Oma, die ihm Märchen erzählt. Genau das tat ich auch. »Sie sind jetzt an die 80, und bevor irgendetwas durchsickern kann, sind Sie lange tot.«
Ich machte eine Pause. »Dafür haben Sie die letzten Jahre Ihres Lebens mit einem echten Papyrus verbracht. Geschrieben in Alexandria, wahrscheinlich im Skriptorium der großen Bibliothek, in der Zeit von Ptolemäus Soters Tod. Vielleicht war es sogar eine Auftragsarbeit von ihm, er war ein großer Liebhaber der Batrachomyomachia.«
»Gut. Abgemacht. Wann werde ich wieder von Ihnen hören?«
»Morgen oder übermorgen. Es gibt da noch einiges zu regeln. Noch etwas. Bis das Stück in Ihrem Besitz ist, kein Wort zu niemandem.«
»Ich kann schweigen, keine Sorge.«
»Die Sorge mache ich mir nicht wegen mir, und wenn der Deal platzen sollte, habe ich genügend andere Interessenten an der Hand. Ich bin nur um Sie besorgt.«
»Abgemacht, kein Wort.«
Wir standen beide auf, dann schüttelten wir uns die Hände. Dittrich begleitete mich zu seiner Bürotür, draußen bekam ich noch ein »Auf Wiedersehen« zu hören und kurz darauf stand ich wieder im traurigen Gang mit den schmutzigen Olivgrüntönen und den flackernden Neonleuchten.
V
Draußen war es immer noch so unfreundlich, wie es in den letzten Tagen gewesen war. Bis vor dem Hotel Bristol der Ringwagen kam, war ich durchnässt und steif gefroren. Endlich erbarmten sich die Wiener Linien und die Türen einer alten Garnitur öffneten sich. Ich stieg die Treppen in die Tram hinein, und als die Sitzreihe über dem Heizkörper frei wurde, machte ich zwei schnelle Schritte und ließ mich auf der wohlig warmen Holzbank nieder. Bis der Wagen vor der Universität an der Station Schottentor hielt, war ich zweimal eingenickt.
Schläfrig, mit brennenden Augen und Ohrenrauschen kam ich oben im Institut an, wo mir Frau Nettig einen Umschlag mit der Bemerkung »Fahrradkurier« in die Hand drückte. Ich sperrte mein Büro auf und warf den Umschlag auf den Schreibtisch. Dann versuchte ich, die Heizung in Gang zu kriegen, was nicht ging, denn sie war bereits aufgedreht. Ich befühlte den Heizkörper unter dem Fensterbrett. Er war eiskalt. Der Universität war offenbar von Wien Energie das Gas abgedreht worden. Fein, meine Institution war genauso bankrott wie ich. Wenigstens hatte ich eine Decke im Schrank, über die Akten der Lausanner Pindar-Tagung 1952 gebreitet. Offiziell schützt sie die wichtigen Dokumente vor Staub, aber eigentlich wärmt sie mich an eisigen Wintertagen.
Als ich meinen nassen Mantel an einen Haken gehängt hatte, setzte ich mich in den Stuhl, legte die Füße auf den Tisch und deckte mich zu. Während ich mein Handy herausholte und Freds SMS durchlas, fielen mir immer wieder die Augen zu. Endlich hatte ich die wenigen Zeilen gelesen, dann stellte ich mir den Wecker und versank in einen schwarzen, traumlosen Schacht.
Während ich fiel, hoffte ich, dass sich der Schacht als bodenlos herausstellen würde. Ich wollte ewig schlafen. Doch wie alle Wünsche zerplatzte auch dieser, der Schacht war nicht bodenlos. Er hatte einen Grund. Der war aus Granit. Auf dem Granit lag mein Handy und es klingelte. Ich fuhr hoch, das Handy fiel zu Boden, mir war schwindlig, mein Zahnfleisch brannte und irgendwie hatte ich einen toten Hund auf der Zunge. Der Hund war schon lange tot und wenn es keiner war, wollte ich nicht wissen, was es sonst hätte sein können. Ich griff zum Samowar, goss mir aus der kalten Teekanne ein und blinzelte. Ich probierte. Der Tee war alter,
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