Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
Vom Netzwerk:
Grammatiker gesucht hast.«
    »So kann man’s auch sehen. Wär wenigstens ein würdiger Tod gewesen. Hätt eine gute Grabinschrift abgegeben.«
    Er grinste schäbig und ging hinunter zur U2, ich hinauf zum Opernring.

IV
     
    Vis-à-vis der Oper liegt der Opernringhof. Im Erdgeschoss befinden sich unter dem, was die 50er als Arkaden bezeichneten, Geschäfte und Lokale. Oben sind Büroräume, Praxen und Konsularabteilungen untergebracht. Zwischen dem Espresso-Café und einem Billigflugreisebüro führt an den Dum-Dum-Records der Weg zur Stiege E. Man tritt durch eine gläserne Tür in den Liftraum, der, ganz in braunem Marmor und stumpfem Messing gehalten, an das Mausoleum des Kim Il Sung in Nordkorea gemahnt.
    Die Lifttüren glänzen stählern, während über ihnen zwei elektronische Liftstandsanzeigen aus dem Neolithikum der Technologie in roten, eckigen Zahlen ihren Dienst tun. Zwischen den beiden Türen, die schon leicht verbeult sind, steht, ebenfalls in bräunlich mahnenden Messinglettern, das Wort Lift. Der Besucher erschauert und tritt ein. Wenn noch irgendwo die 50er leben, dann hier.
    Ich stieg in den Lift, wählte den 4. Stock und ruckend schlossen sich die Türen. Im Gegensatz zu den Aufzügen in Pjöngjang funktionieren hier allerdings die Türsensoren und so stieg im letzten Moment eine Schar von Frauen dazu. Sie glotzten mich an wie ein unbekanntes Tier. Eine nach der anderen stieg aus, bis ich alleine im Lift war, sich die Tür öffnete und ich in den Gang des 4. Stockes trat.
    Ein grüner Läufer auf olivgrünem Linoleum, dunkelolivgrün mit Ölfarbe gestrichene Wände, über Schulterhöhe hellolivgrün. Ohne natürliches Licht, Neonleuchten an der Decke. Alles dreckig und alt. So mussten die Korridore ausgesehen haben, in denen brave Apparatschiks die Verwaltungsarbeit für den ›Archipel Gulag‹ leisteten. Ganz hinten fand ich Dittrichs Büro, ich klopfte und trat ein.
    Vor mir lag ein kleines Vorzimmer, etwa vier mal fünf Meter groß. Zwei Fenster gingen hinaus auf die Straßenseite. Auf den Fensterbrettern standen kleine Grünpflanzen, stachlig und spitz. Die Stirnseite war mit einem großen Aktenschrank zugestellt, in dem Ordner aus vergessenen Jahrzehnten verstaubten. Es herrschte der klassische Büroduft nach Filterkaffee, Staub und Würfelzucker, mit einer Nuance Kopierflüssigkeit. Rechts von mir stand der Schreibtisch, hinter dem Dittrichs Sekretärin saß. Eine wahrhaft monumentale Frau, Mitte 50. Das graue Haar war zu einem Dutt zusammengebunden, sie selbst war korrekt gekleidet. Während sie die Augen vom Bildschirm hob, tippten ihre Hände ungestört weiter.
    »Ja, bitte. Was kann ich für Sie tun?«
    Die Dame hatte eine der schönsten Stimmen, die ich je vernommen hatte. Hätte ich sie am Telefon gehört, hätte ich mich sofort in sie verliebt. So mussten die Sirenen in Odysseus’ Ohren geklungen haben, als er festgezurrt am Mastbaum stand, während seine Gefährten mit Wachs in den Ohren ruderten. Ich wusste, ich würde nie mehr ruhig schlafen können, immer wäre mir die Stimme im Ohr.
    »Linder. Ich habe einen Termin mit Herrn Dittrich.«
    Sie blickte kurz in ihr Notizbuch. »Ah ja, wenn Sie gleich eintreten wollen, Herr Doktor.«
    »Danke.« Ich wollte gleich, aber nicht eintreten, sondern Ohren und Seelen an ihrer Rede weiden. Ihre ›A’s‹ waren ein Wohlgefallen, und entsprachen dem, was die Brüder Grimm »den edelsten, ursprünglichsten aller Laute« nennen. Ihre Semivocales, die fließenden Konsonanten ›LMNR‹, versetzten mich in Entzücken. Leider hatte ich noch kein ›M‹ von ihr gehört, aber das würde schon noch werden. Bereits an der Tür stehend, wandte ich mich zu ihr zurück.
    »Könnte ich vielleicht einen Kaffee bekommen?«
    »Sicherlich.«
    »Mit Milch, bitte.«
    »Mit Milch, sofort.«
    Ich hasse Kaffee mit Milch, aber manchmal muss man über Leichen gehen. Zum Beispiel, wenn man ein ›M‹ hören möchte. Befriedigt klopfte ich leise und trat in Dittrichs Büro ein.
    Hinter der Milchglasscheibe befand ich mich ein einer anderen Welt. Obwohl es draußen regnete, war herinnen Sonnenschein. Ein weicher Turkmene in Rot, Schwarz, Weiß lag auf dem Boden. Er stammte offensichtlich noch aus der Zeit vor Turkmenbashis irrwitzigem Exportverbot. Ein schwerer Schreibtisch aus Ebenholz thronte vor der Stirnseite. Die Wände waren mit Bücherregalen vollgestellt. Neben handelsüblichen Exemplaren waren einige Reihen auch ausschließlich bibliophil besetzt. Ich

Weitere Kostenlose Bücher