Arno-Linder 1: Papierkrieg
bequeme.
Kapitel 6
I
Am nächsten Morgen brach Panik aus. Wir hatten ein bisschen zu lange geschlafen und Laura musste unbedingt noch zu sich nach Hause, denn mit zerzausten Haaren, verwischtem Make-up und zerknautschtem Kostüm konnte sie nicht arbeiten gehen. Meine Beschwichtigungsversuche beruhigten sie keineswegs, eher fachten sie das Feuer an, bis es an die Decke loderte. Irgendwie gelang es mir doch noch, sie zu besänftigen, und als sie ging, waren wir wieder gut. Ich versprach, sie anzurufen und dann war es wieder still und einsam in meiner Wohnung.
Ich biss in den sauren Apfel und begann damit, gründlich aufzuräumen. Es ging mir zwar nicht allzu leicht von der Hand, aber es war auch keine unüberwindliche Qual. Als ich schließlich ans Einordnen meiner Blätter kam, stieg Stolz in mir hoch. Stolz auf meinen nicht für möglich gehaltenen Ordnungssinn und meine intellektuelle Reife. Ich hatte doch tatsächlich über 90 Prozent meiner Zettel mit einer Seitenzahl und Bandnamen beschriftet, sodass es keine Probleme verursachte, sie zuzuordnen. Ich hatte mich bereits gesehen, wie ich monatelang Buch um Buch durchblättern würde, um auf Verdacht hin einzuordnen. Aber ich war schlauer gewesen, als ich mir selber zugetraut hatte. Den wichtigsten Teil hatte ich schnell eingelegt, den unwichtigeren Rest würde ich irgendwann erledigen, wenn ich die Zeit dazu hätte.
Jetzt würde ich mich belohnen. Ich holte mir meinen Sophokles aus dem Regal und begann zu lesen. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob ich von Ajax und seinem schlimmen Verhängnis lesen sollte oder von den Trachinierinnen und dem Tod des Herakles. Ich war in düsterer Stimmung und beides schien passend. Wie so oft im Leben aber gab eine Kleinigkeit den Ausschlag, denn zum ersten Mal wurde mir der Eröffnungssatz der Trachinierinnen so richtig bewusst. Er schien meine Situation zu treffen wie die Faust das Auge: »Unter den Menschen geht seit alters her der Spruch, dass vor dem Tod sich nicht entscheiden lässt, ob gut, ob schlecht ein Leben war.« Ich vergrub mich in Sophokles’ gemessener Sprache und genoss den Fortgang der Tragödie, bis ich auf die Uhr blickte und feststellte, dass es Zeit war, ein wenig dafür zu sorgen, dass mein Leben nach seinem Abschluss als positiv beurteilt werden könnte. Also rief ich Reichi an.
»Hi«, begrüßte er mich, »dachte schon, dass du unter die Räder gekommen wärst.«
»Na ja, fast. Deswegen ruf ich auch an.«
»Denk ich mir doch, dass es nicht aus selbstloser Sorge um deine Mitmenschen ist.«
»Also, Jurist, sag mir, wenn man als Verdächtiger, der sowieso bereits einen schlechten Eindruck macht, am Tatort eines Mordes verhaftet wird, was ist da die übliche Vorgehensweise?«
»Sag bloß, dass du gerade vor einer Leiche stehst. Dann lass dich nicht erwischen, hau ab, so schnell es geht. Und danke, dass du mich auch noch da mit reinziehst.« Reichi klang ernsthaft besorgt und ein wenig böse.
»Nein, nein, reg dich ab. So ist es nicht.«
»Gott sei Dank.« Er dachte einen Moment nach. »Wenn du vorhast, so was durchzuziehen, kann ich nur abraten. Besser, du kommst mit dem Gesetz nicht in Berührung. Österreich ist zwar ein Rechtsstaat, aber was für einer! Da haben sie mal ein chinesisches Ehepaar eineinhalb Jahre in U-Haft gehabt …«
»Ja, ja, hast du mir schon öfter erzählt. Die Geschichte mit den Austauschstudenten, bei der ein Konkurrent auf Schlepperei und Menschenhandel angezeigt hat.«
»Genau. Eineinhalb Jahre Häfn ohne Verfahren! Vergiss den Gedanken, dich an einem Tatort erwischen zu lassen.«
»Zu spät. Ist passiert.«
»Wie meinen?«
»Naja, am Wochenende.«
»Kein Scheiß?«
»Nein, sicher. Hast du’s nicht gelesen? Mord an einem Kunsthändler im 15., Verdächtiger mit meinen Initialen abgeführt. Das wird dir doch nicht entgangen sein.«
»Ich les so was immer, darum kann ich sagen, das ist in keiner Zeitung gestanden. Erst recht nicht am Wochenende, da les ich alle. Hab da einen guten Kontakt, krieg sie alle gratis.«
»Du klaust sie einfach aus dem Zeitungsständer.«
Reichi kicherte vergnügt und kam postwendend zurück aufs Thema. »Sie haben dich also verhaftet. Wow. Rufst du aus dem Knast an? Ich kann dich nicht vertreten, hab noch keine Anwaltsprüfung und bei einem Strafverfahren ist nicht zu spaßen.«
»Nein, ich bin schon wieder heraußen, drum ruf ich ja an.«
»Glaub ich jetzt nicht. Ist der Täter geschnappt?«
»Nein.«
»Dann
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