Arrivals: Fürchte die Unsterblichkeit (German Edition)
ausdrucksloser Stimme.
»Halt den Rand, Francis.« Sie würde nicht direkt zugeben, dass er recht hatte, aber sie antwortete ihm mit einem seiner eigenen Ausdrücke – einem, der Mary auch gefallen hatte. Im Lauf der Zeit hatte sie Wörter und Gewohnheiten von später geborenen Arrivals aufgeschnappt, obwohl einiges von dem, was sie sagten oder taten, sie immer noch verblüffte. Sie gestand sich jedoch ein, dass Francis nicht ganz unrecht hatte: Jack war viel weniger bereit, sich weiterzuentwickeln. Er klammerte sich an seine alten Vorstellungen, als würden sie alle eines Tages nach Hause zurückkehren. Kitty hatte im Lauf der Jahre versucht, sich zu entwickeln. Aber sowohl Jack als auch Edgar bewahrten, wenn es um ihre Sicherheit ging, einige ihrer ziemlich lästigen Ansichten aus ihrer Heimat.
»Sei einfach vorsichtig.« Francis entflocht seinen schlaksigen Körper, stieg von der Tonne, die sie als behelfsmäßigen Stuhl benutzten, und schlang einen Arm um sie. »Ernsthaft, Kitty: Lass dich nicht umbringen.«
»Ich komme schon klar«, versprach sie. »Ich brauche nur ein wenig Spaß.«
Mehrere Stunden später versuchte Kitty sich selbst einzureden, dass sie Spaß hatte, aber der Umstand, dass sie mit bewaffneten Betrunkenen diskutierte, trug nicht gerade dazu bei, dass sie sich die Lüge abnahm. Der winzige Außenposten Gallows war das Beste, was sie so tief in der Wüste finden konnte; und alles in allem war es keine so üble kleine Stadt. Sie hatte schon so manchen lustigen Abend in Gallows verbracht. Größtenteils mit Edgar oder … Sie gebot sich Einhalt, bevor sie an die Arrivals denken konnte, die sie im Lauf der Jahre ihre Freunde genannt hatte.
Nachdem sie den Gedanken beiseitegeschoben hatte, blickte sie zu der klapperdürren Betrunkenen an ihrer Seite. »Sei doch vernünftig, Lira«, begann sie. »Du willst doch sicher nicht …«
Ein Schwall Wein, der ihr ins Gesicht gegossen wurde, unterbrach ihren Versuch, beruhigende Worte zu sprechen.
Kitty wischte sich mit dem Arm übers Gesicht, der süße Geruch des billigen Weins irritierte sie fast so sehr wie das nasse Haar, das jetzt an ihrer Haut klebte. Sie begann im Kopf zu zählen und strengte sich an, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Der Barkeeper warf sich hinter der Theke zu Boden, und die Betrunkene links von ihr hob ihre Waffe.
Kitty versetzte ihr einen Hieb.
»Danke.« Lira grinste, als hätte sie Kitty nicht gerade mit Wein übergossen.
Kurz überlegte Kitty, ob sie wieder mit dem Zählen anfangen sollte, aber der Moment war schnell vorüber. Sie hatte gehofft, sie könnte einen Abend lang so tun, als wäre das Leben normal. Aber jetzt stank sie nach Wein, den sie nicht getrunken hatte, und ihre Fingerknöchel stachen, während die Frau, die den Streit angefangen hatte, sie anstrahlte, als wären sie Freundinnen. Zugegeben, sie kannte Lira seit Jahren – die streitlustige Frau gehörte zu den Vorarbeitern –, aber ein paar Unterhaltungen und Streitgespräche bedeuteten nicht, dass sie Freundinnen waren. Und wichtiger noch, Freunde kippten einem keinen Wein ins Gesicht.
»Herr, bewahre mich vor Schwachköpfen«, sagte Kitty, und dann versetzte sie Lira ebenfalls einen Schlag.
Vor Jahren hätte sie sich noch herausgehalten, damit die beiden betrunkenen Idiotinnen einander nach Herzenslust erschießen konnten, aber sogar in Jacks Abwesenheit hallte seine häufig wiederholte Ermahnung in ihrem Kopf wider: Es ist unsere Berufung.
»Berufung, dass ich nicht lache«, murmelte Kitty und betrachtete die diversen Scharmützel, die in der Bar im Gang waren. Die Wirtin glänzte durch Abwesenheit, der Barkeeper versuchte nicht einmal, für Ordnung zu sorgen, und nun benahmen sich die Gäste wie unartige Kinder. Sie hätte einschreiten können, aber Jack war nicht da und nörgelte sie an, und sie fühlte sich trotzig. Also hob sie ihr Glas wie zum Anstoßen und lehnte sich mit dem Rücken an die Theke, um sich die Show anzusehen. Manchmal schenkte ihr eine Saloonschlägerei fast das Gefühl, wieder zu Hause zu sein – wenn es ihr gelang, den Umstand zu ignorieren, dass diese Welt voller Magie und voller Wesen war, die direkt aus Märchenbüchern hätten stammen können. Leute waren eben Leute, selbst wenn sie nicht immer menschlich waren. Ärger war Ärger, auch wenn Ungeheuer ihn vom Zaun brachen. Das war die schlichte Wahrheit.
Sie machte sich ein Spiel daraus, im Stillen die Gewinner verschiedener Prügeleien vorauszusagen. Doch
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