"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
vielen kenne ich gerade mal den Titel. Das eine oder andere weckt vage Erinnerungen – Robinson Crusoe habe ich als Kind gelesen, Oscar Wildes Dorian Gray und Thomas Manns Buddenbrooks haben mich als 17-Jährigen schwer beeindruckt. Das weckt angenehme Erinnerungen an wundervolle träge Sommernachmittage auf einer Wiese oder an einem See mit einem Buch, das alles rundherum vergessen machte und mich in eine wundervolle fremde Welt voller faszinierender Geschichten und der Freude an schöner Sprache trug. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ein wirklich gutes Buch gelesen habe – jenseits von Frederic Forsyth und John Le Carré. Oder Politiker-Biografien für den Job. Tageszeitungen. Krimis oder Thriller im Zug oder während ich auf einen Termin warte. Aber echte Klassiker? Goethe und Schiller in der U-Bahn? Mir wird mir nichts anderes übrig bleiben, wenn ich nicht in die Luft stieren will, denn die Thriller setze ich auf den Index.
Viele Leute beneiden mich ja in London vor allem wegen des großartigen kulturellen Angebotes. Weltniveau! Und ich »muss« ins Theater gehen. »Zwinge« mich ins Museum. Aber es ist halt nicht meine Welt. Mich hat Kultur nie interessiert. Es sollte ein Vergnügen sein, keine Qual – warum also soll ich mich dazu zwingen? Die Antwort ist, dass ich doch gar nicht beurteilen kann, woran ich Spaß habe. Ich habe schon oft »keine Lust« zu Dingen gehabt und dann überraschend viel Spaß daran gefunden. Manchmal muss man sich vielleicht auch zu neuen Erfahrungen überwinden. Die man sich durch Angst und Trägheit verschlossen hat. Es ist zumindest eine Chance,
etwas Neues zu entdecken. Vielleicht ein Hobby, eine Leidenschaft – wer weiß. Ich möchte es nicht nur aushalten mit mir selbst – ich möchte mir selbst eine erfreuliche Gesellschaft werden. Glück und Erfüllung waren für mich jenseits von Liebe ja nie wirklich denkbar. Ich habe immer eine Menge auf die Beine gestellt, um von Frauen bewundert zu werden. Und wenn das zu anstrengend wurde, bin ich in die nächste Inszenierung geflohen. Habe die nächste Rettungs-Ankerin gesucht … die nächsten beiden Menschen unglücklich gemacht, mich inklusive.
Ich möchte es nicht nur aushalten mit mir selbst – ich möchte mir eine erfreuliche Gesellschaft werden. Glück und Erfüllung waren für mich jenseits von Liebe ja nie wirklich denkbar.
Oma oder Drillsergeant?
»Spare in der Zeit …« steht als Motto auf dem braunen Finanzordner. Ich habe den Spruch nicht vollendet, weil nicht zu erwarten ist, dass ich je Not erleiden muss. In diesem hässlichen braunen Ordner jedenfalls gibt es eine lange To-do-Liste mit lauter langweiligem Kleinkram. Billigvorwahlen, Vergleiche von Internetanbietern, Handytarife, Versicherungen – 18 Pfund Ersparnis hier, 15 Pfund dort, 8 da. Im Grunde ist es lächerlich. Aber es geht ums Prinzip. Ganz klein anfangen, statt sich im Großen zu verstolpern. »Wer den Pfennig nicht ehrt …« Ich habe Oma und ihre Binsenweisheiten als guten Geist in mein Einsatzteam aufgenommen. Am liebsten hätte ich
dem fiesen Drillsergeanten das Kommando wieder entzogen und an meine lebensweise Oma übergeben. Aber dann fielen mir Tante Gerda und Onkel Willy wieder ein, Omis Schwester und deren Mann. Die hatten ein Auto und holten Omi am Wochenende zum Ausflug ab. Wenn ich in den Ferien bei ihr war, musste ich auch mit. Der nackte Horror! Wir fuhren 17 Picknickplätze und neun Ausflugscafés an, aber an jedem hatte Tante Gerda etwas auszusetzen. In Onkel Willys Jetta roch es nach Nyltest-Schweiß und 4711 oder Tosca . Während wir mit 60 Sachen auf der Landstraße entlangzuckelten, beherrschten die Themen Krankheit, Tod und anderes Elend sämtlicher naher und ferner Verwandten und Nachbarn das unaufhörlich fließende Gespräch der Schwestern. Manchmal gerieten sich auch alle in die Haare – und Onkel Willy ließ seine Autorität spielen. Weil er ja pensionierter Oberamtsrat war – beim Landratsamt Gießen. Omi und ich waren jedenfalls froh, wenn wir abends wieder allein vor dem Fernseher saßen und Frankenfeld schauten, und Omi schnitt dazu Äpfel in mundgerechte Schnitze. Aber wenn ich sie fragte, ob wir Tante Gerda und Onkel Willy nicht lieber nächstes Mal absagen sollten, dann sagte sie nur »Ach …« und hob hilflos die Arme. Und wegen dieses »Ach …« hat sie jetzt bloß noch beratende Funktion. Ein Drillsergeant kennt kein »Ach…«
Sechs Tage bis zum Start
Ich lege den Start für »Offensive
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