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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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Arschtritt« auf den 16. Juli fest. Ein Samstag. Ich habe mich für ein Probetraining in einem Fitnesszentrum morgens um acht angemeldet, und ich könnte danach die Aktion mit einem
zweitägigen Großreinemachen starten – ein sauberer Anfang sozusagen. Aber wenn »Unternehmen Arschtritt« in meiner Fantasie eine militärische Offensive ist, sollte ich sie nicht mit Putzen beginnen. Wenn zwei Tage überhaupt reichen um hier Grund hereinzubringen. Meine Oma hätte es so weit nie kommen lassen. Sie wäre nicht ins Bett gegangen, bevor nicht alles gespült, aufgeräumt und an seinem Platz war. Und einen Fleck hat sie sofort weggemacht oder einen abgerissenen Knopf angenäht und nach dem Urlaub die Fotos ins Album geklebt. Und es beschriftet.
     
    Meine Mutter war entsetzt, als sie mich in London besuchte. Noch aus dem Taxi zum Flughafen rief sie mir zu: »Junge – nimm dir ’ne Putzfrau!« So schlimm ist es gar nicht. Jedenfalls oberflächlich betrachtet. Weil ich alles rumliegen lasse, immer wahllos in irgendwelche Schubladen und Fächer stopfe. Das hier bräuchte mal ’ne Grundreinigung, alle Flächen gründlich abwischen, die Türen, die Bäder, den Kühlschrank … Und wie es erst in den Schränken aussieht! Ich werde säckeweise Gerümpel hier raustragen müssen …
     
    Ich kümmere mich einfach nicht um das große Chaos! 28 rote Haushaltskästchen – kleine zu 30 Minuten – reihen sich wie eine Kette durch die Wochen in meinem Plan. Montag: Gäste-WC putzen – Dienstag: Herd sauber machen – Mittwoch: staubsaugen – Donnerstag: Küche wischen – Freitag: Betten beziehen und Wäsche waschen usw. Die Häppchenmethode! Ich muss mir keinen Kopf machen, welcher Riesenberg da noch vor mir liegt und
wie ich das denn alles bitte schön schaffen soll. Sondern konzentrier mich jetzt in diesem Moment nur auf das Gewürzregal. Und morgen auf den nächsten Punkt … Wenn ich mit der Liste durch bin, ist meine Wohnung beinahe mutterbesuchstauglich. Dann fang ich wieder von vorne an – jeden Tag ein halbes Stündchen – und habe immer alles in Schuss. Oma-Niveau. Dann engagiere ich eine Putzfrau …
    Ich kümmere mich einfach nicht um das große Chaos! Ich teile es auf in lauter kleine Häppchen.
    Sechs Tage, dann gehe ich ins Trainingscamp. Oder ins Kloster. Ich bin gespannt wie ein Marathonläufer vor dem Start. Fühle sogar ein wenig Vorfreude. Weil das so neu und völlig abwegig scheint. In meinem Herzen hat Disziplin nämlich einen miesen Klang. Deshalb habe ich die Arschlochjobs outgesourced an Drillsergeant und Buchhalter. Das Bild, das bei dieser langen Liste von mir selbst entsteht, gefällt mir aber. Es ist ganz allein meine Aktion, ich habe sie mir ausgedacht – und ich glaube daran.
    Ich hole die Weinflasche aus dem Kühlschrank, zünde mir eine Zigarette an und widme mich wieder meinem Agententhriller. Eins von den Büchern, das demnächst auf meinem Index steht. Ein Jungs-Buch halt. So mit viel Action und ein bisschen politischer Verwicklung als Legitimation. Und genau in dem Augenblick, in dem die Handgranate in die verschlossene Fahrstuhlkabine mit unserem Helden fällt – und sein Blick nach oben das höhnisch grinsende Gesicht von Yusuff erfasst, der ihm
triumphierend den Sicherungsstift der Granate entgegenstreckt – da endet das Kapitel. Und das nächste beginnt dann im Oval Office des weißen Hauses, in dem der Präsident und sein Sicherheitsberater und der Verteidigungsminister darüber diskutieren, ob man in drei Stunden die USA evakuieren kann. Die Geschichte kommt mir irgendwie bekannt vor. Der tragische Tod seiner Geliebten, der Mossad-Agentin. Andererseits sterben solche Frauen immer in diesen Romanen, weil ein verheirateter Geheimagent nicht geht. Ich brauche bis Seite 278, bis mir klar wird, dass ich exakt dieses Buch vor Jahren schon einmal gelesen habe. Ich lese es trotzdem weiter, weil es gerade so spannend ist und ich keinen blassen Schimmer mehr habe, wie es weitergeht und endet.
    Ich habe vier Therapien hinter mir. Jedes Mal mit Happy End. Dem Moment der Erkenntnis. Die Schlussszene: Der im Stollen verschüttete Held blickt in einen Lichtstrahl. Aus einer Öffnung, die immer größer und heller wird, weil die Retter die Steine beiseiteräumen. Und wenig später bin ich wieder an der Stelle, wo der Held im Dunkeln sitzt. Unglücklich, wie gelähmt spürt er das Anschleichen einer neuen Depression. Ich will mal versuchen, ein neues Kapitel zu schreiben. In dem die Vernunft das

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