"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
und Ehrfurcht. Ich kann es immer noch kaum fassen: Dieses grandiose Curry habe tatsächlich ich gemacht. Ich habe etwas gekocht – und es schmeckt. So gut, dass ich es sogar Gästen servieren könnte. Jamie Oliver empfiehlt zum Hühnercurry eiskaltes Bier.
Brav räume ich die Küche auf – aber dann ist irgendwie die Luft aus dem Tag. Ich nehme Oscar Wildes Dorian Gray , aber die Sätze erreichen mich nicht. Erfasse die Handlung, aber tauche nicht ein. Es ist ungewohnt, zu Hause im Sessel zu sitzen und ein Buch zu lesen. Ich bin so gereizt, dass ich die Wände hochgehen könnte. Nikotinentzug vielleicht. Multiple Suchtattacken. Ich habe keine Ahnung, was ich am meisten vermisse – den Kaffee, den Wein oder die Zigaretten. Auf Schokolade könnte ich mich auch stürzen. Gestern Abend habe ich meine letzte Zigarette geraucht. Ich habe sie genossen.
Tief meine Lungen mit würzigem Rauch gefüllt und versonnen den blauen Wölkchen nachgeschaut. Ich werde das Rauchen vermissen. »Gehen wir eine rauchen?« Eine Menge gute Gespräche und berufliche Kontakte begannen so. »Soll ich dir eine anzünden?« Viele romantische Stunden endeten so. Zahllose Reportagen und Features entstanden im blauen Dunst, und heftige Diskussionen wurden in verrauchten Kneipen geführt. Und auf Partys war die Stimmung sowieso bei den Rauchern in der Küche am besten. Ich sollte nicht an so was denken – hier mit meinem Kräutertee in meiner stillen Wohnung. So eine Zigarette kann etwas sehr Tröstendes sein, wenn man allein ist.
Ein paarmal war ich heute kurz davor, eine zu schnorren. Wenn Du diese zehn Minuten überstehst, wirst du dich hinterher großartig fühlen, sagte ich mir jedes Mal. Und als ich vorhin an der Straßenkneipe vorbeiging, da war es fast schon ein euphorisches Überlegenheitsgefühl. Ach ihr elenden Süchtigen. Wisst ihr überhaupt wie armseelig das aussieht, wie ihr euch da an eurem Glimmstengel festhaltet und gierig Gift in eure Lungen saugt? Ich weiß, dass ich meinen Verzicht gegen etwas Besseres eintausche. Ich will schon lange aufhören, weil es mir nicht guttut. Ich kein gelbgraugesichtiger Renter mit Knitterhaut und bösen Hustenanfällen werden will. Wer sich wirklich etwas wert ist, kann nicht allen Ernstes rauchen. Gestern habe ich meine letzte Zigarette geraucht. Da fällt mir etwas ein, und meine Laune erhellt sich schlagartig. Es müssten noch welche übrig sein, in der Schachtel in meinem Arbeitszimmer.
Das Verlangen nach einem großen, starken Cappuccino ist übermächtig. Ich werde das Bild nicht los aus meinem Kopf. Werde ich jemals das gleiche Verlangen nach einem Kräutertee entwickeln?
Tag 1 – Zweiter Versuch
Wenn du gestern stark geblieben wärest, würdest du dich heute großartig fühlen. Keine Frage. Das habe ich mir ja gestern auch schon gesagt. Ich habe es mir bei der ersten, zweiten und auch bei der dritten Zigarette gesagt, und ich habe es mir gesagt, als ich schon unterwegs war zum Kiosk. Um neue Zigaretten und – wennschon, dennschon – Bier zu holen und es mir vor dem Fernseher gemütlich zu machen (jetzt ist auch egal). Immer wieder habe ich mir gesagt, dass ich mich heute ärgern würde…
… und ich hatte recht. Natürlich ärgere ich mich. Dass ich schon am ersten Tag wieder schwach geworden bin. Wo er doch so gut angefangen hat mit Sport, Museum und Kochen. Gestern Abend war mir das egal. Die Gier war einfach stärker. Mein innerer Schweinehund hat natürlich aufgetrumpft und sich ausgeschüttet vor Lachen über den Drillsergeanten. Aber besser am ersten Tag scheitern als am fünfzehnten. Ich schätze ohnehin, dass es leichter wird, wenn ich den Anfang hinter mir habe. Ich zerbrösele die restlichen Marlboros über dem Klo und fang noch mal von vorne an. § 13 tritt in Kraft.
Mein Körper ist ein einziger Muskelkater. Jede Bewegung schmerzt und streng an – aber es fühlt sich trotzdem gut an. Dass da was passiert in meinem Körper. Mich zu spüren. Ich mache einen langen Spaziergang an
der Themse und google anschließend William Turner. Lese mehrere Artikel über den Maler und seine Zeit, die beginnende industrielle Revolution. Turners wenig naturalistischer Malstil – sein Spiel mit Licht und Schatten – war anfangs umstritten. Er war zuversichtlich, in Aufbruchstimmung, als er das Bild gemalt hat. Im Rausch der Geschwindigkeit, die die Revolution der Dampfmaschine möglich machte. Eisenbahnen, Dampfschiffe – für die einen Teufelszeug, für andere eine Zukunft
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