"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
buhen und kichern wie eine ausgelassene Schulklasse. Ich habe jedenfalls eine Wette verloren, als Boris Johnson später tatsächlich Londoner Bürgermeister wurde. Irritiert hat mich weniger seine politische Ahnungslosigkeit. Sondern dass er so jede Ernsthaftigkeit vermissen ließ. Dass er sich nicht mal bemühte, den Eindruck zu kaschieren, hier betreibe ein rundum mit sich selbst zufriedener Mann die Politik als vergnügliches Spiel. Ein Spaßvogel.
In Deutschland wäre er damit baden gegangen. Aber in London hatte er Erfolg. Meine Stimme hätte er auf jeden Fall – aber das zählt nicht. Möglicherweise war es ja auch der Kaffee, der mich so für Boris Johnson eingenommen hat. Gleich am Anfang hat eine Sekretärin das Tablett hereingebracht. Ja, ich weiß – wenn ich jetzt stark bleibe, fühle ich mich morgen großartig. Aber wenn ich jetzt schwach werde, fühle ich mich sofort großartig. Meine Kopfschmerzen verschwinden fast augenblicklich und meine matten Lebensgeister erwachen. Dann greife ich gierig zu den Schokoladenkeksen. Gott sei Dank dauert das Interview lange genug für eine zweite Tasse. Welch ein Vergnügen, solch einem Mann zuzuhören.
Wenn ich jetzt stark bleibe, werde ich mich morgen großartig fühlen. Wenn ich jetzt schwach werde, fühle ich mich sofort großartig.
Tag 1 – Dritter Anlauf
Soll ich mich jetzt wirklich ärgern? Es läuft doch super, alles in allem. De facto lebe ich seit knapp einer Woche gesund – auch wenn heute wieder Tag eins ist. Ich geh zum Sport, koche, räum die Wohnung auf, war im Museum und lese einen Klassiker. Das wird schon. Irgendwann wird es mir furchtbar auf die Nerven gehen, dass ich jedes Mal wieder umfalle – und dann läuft das. »Erfolg ist ein Prozess, der von Scheitern begleitet ist«, hat irgendein verrückter Ballonfahrer gesagt, der gerade einen Weltrekord in den Sand gesetzt hat. Sich nicht mit Misserfolgen aufhalten, sondern einfach weitermachen.
Erfolg ist ein Prozess, der von Scheitern begleitet wird.
Tag 3 – Federleicht
Gestern war ich auf einer Party und habe dort Unmengen Mineralwasser getrunken. Ich fand mich gut. Obschon ich mich durchaus schon besser amüsiert habe auf Partys. Nicht weil ich mich rechtfertigen müsste oder es irgendeinen interessieren würde, was ich im Glas habe. Sondern weil ich ausgeschlossen bin von der bier- und weinseligen Ausgelassenheit der anderen. Ich werde gereizt und in mich gekehrt und denke, dass ich auch ein Schild um den Hals tragen könnte mit der Aufschrift »Ich bin eine Spaßbremse«. Zwischendurch fühle ich mich auch total überlegen, als ich glasklar die immer schwerer werdenden Zungen meiner Kollegen analysiere. Aber das macht es nicht besser. Das feuchtfröhliche Geschwätz geht an mir vorbei. Selbstverliebtes Journalistengelaber
nervt mich. Die meisten Geschichten kenne ich eh schon. Wäre ich angeheitert, würde ich vermutlich jetzt zum dritten Mal von meinem Boris-Johnson-Interview erzählen oder von der Gartenparty der Queen. Und die ganze Zeit dröhnt diese Stimme in meinem Kopf: »Sei stark, sei stark, sein stark – und du wirst dich morgen großartig fühlen.« Ich kriege nichts mit von der Party. Weil ich den gan-zen Abend über nur an den Wein denke, den ich nicht trinke.
Gestern habe ich auf einer Party Unmengen Mineralwasser getrunken. Ich habe mich schon besser amüsiert auf Partys. Weil die ganze Zeit diese Stimme in meinem Kopf hämmerte: Bleib stark! Weil ich den ganzen Abend an den Wein dachte – den ich nicht getrunken habe.
Als ein paar Freunde rausgingen zum Rauchen, stellte ich mich dazu. Lehnte demonstrativ die angebotene Zigarette ab. Großes Lob und Schulterklopfen, sie würden ja auch gerne alle, aber wie das halt so ist … Ich bin stark! Am Ende hat mich tatsächlich ein Raucher vor einem neuen Fehlschlag bewahrt. Weil er mein Flehen und Betteln und die Beteuerungen, das alles nicht so gemeint zu haben mit der Abstinenz, ignorierte – und mir keine gab: »Glaub mir, du würdest dich morgen ärgern.«
Er hatte recht. Heute morgen bin froh darüber. Stolz, munter und glänzender Laune. So habe ich mich noch nie gefühlt nach einer Party. Auch wenn ich nicht viel Spaß hatte. Aber vielleicht kommt das noch, dass es egal ist, ob ich trinke oder nicht. Dass ich einen schönen Abend
mit netten Menschen pur genießen kann. Ich war heute morgen schon beim Sport, das vierte Mal jetzt. Es macht immer noch keinen Spaß, aber ist auch kein Drama mehr. Sondern eine
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