"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Stück – Der Berg schrumpft
Das Bild im Kopf ist hartnäckig: Ein beschlagenes Glas kühler Weißwein, der golden in der Nachmittagssonne
funkelt. Essiggeruch verbreitet sich in heißen Dampfschwaden, als ich den Putzeimer fülle. »Bad sauber machen« ist Punkt acht auf meiner Haushaltsliste. Als ich »Unternehmen Arschtritt« plante, war die Wohnung ein riesiger Saustall. Nicht von Problembergen entmutigen lassen, sondern das Schäufelchen nehmen und irgendwo anfangen – das gilt auch hier. 28 Halbstunden-Häppchen.
Heute wird es länger dauern. Hartnäckige Kalkflecken auf der gläsernen Duschabtrennung, stumpf gewordene Edelstahl-Armaturen, dicke, schwarz-feuchte Staubflusen hinter der Toilette. Ich bewege mich in einem Paralleluniversum: Auf einem öden Planeten voller unangenehmer Pflichten und Verbote weit weg von der Welt fröhlicher Feierabendzecher und lustvoller Genießer. »Mach einfach!«, raunzt der Drillsergeant. »Dein Gejammer ändert nix!«
Seit ich mir den widerwärtigen Kerl ins Haus geholt habe, führe ich permanent Selbstgespräche. Ich feuere mich an, stelle mir vor, an einer Eliteausbildung teilzunehmen. Es hilft, ein Spiel daraus zu machen. Ein wenig jedenfalls. In meiner Fantase ist der Drillsergeant ein vierschrötiger Typ mit Bürstenhaarschnitt und kleinen, gemeinen Schweinsäuglein. Emotional zurückgeblieben, intellektuell beschränkt und völlig humorlos. Er erwartet absoluten Gehorsam, akzeptiert keine Entschuldigung und neigt zu gehässiger Schikane. Das Gegenmodell zum verständigen Therapeuten.
Ich stelle ihn mir in seiner Tarnfleck-Uniform vor, wenn ich mich im Fitnessstudio schwitzend an den Geräten abkämpfe. Er schreit mich an, wenn ich mich erschöpft
fallen lasse und glaube, nicht mehr weiterzukönnen: »Na los, du Schlappschwanz! Noch fünf Sätze, du fauler Sack!« Als die Frau am Gerät neben mir irritiert hinüberschaut, wird mir bewusst, dass ich laut gesprochen habe.
An meiner Wohnung sieht man die Veränderungen deutlich. Vielleicht sollte ich jeden Tag ein Foto machen und die Bilder dann hintereinander als Film ablaufen lassen, auf denen sich im Zeitraffer Chaos und Dreck in ein gemütliches Heim verwandeln. Womöglich sollte ich mich auch selbst fotografieren – nackt im Badezimmerspiegel. Der Anblick wird erträglicher, mein Körper bekommt wieder Konturen.
Das Bad muss mir jetzt nicht mehr peinlich sein. Porzellan und Fliesen glänzen, die Armaturen funkeln, es riecht sauber und frisch. Meine Laune steigt rapide, ich freue mich auf das Abendessen: Fischfilet auf Tomatensoße, überbacken mit Mozzarella. Natürlich von Jamie Oliver. Inzwischen habe ich zwei weitere Kochbücher von ihm gekauft. Sie sind mir tröstende Lektüre, wenn die Klassiker mich anöden. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich sonntags die Speisenfolge für die kommende Woche plane, Zutaten herausschreibe und meine Einkaufslisten erstelle. Voller Hingabe zerdrücke ich Tomaten im Topf, hacke Oliven und Basilikum, zerrupfe den Mozzarella. Mir durch Zwang eine neue Welt zu erschließen – vielleicht gelingt mir das mit Marcel Proust ja auch noch. Der Fisch riecht super, die Mozzarella-Kruste ist knusprig-braun. Jamie Oliver empfiehlt trockenen Riesling zum Fisch.
So ein Abend ohne Entspannungsdrink, ohne Fernsehen – der kann verdammt still und leer sein.
Ordnung ist rot in meinem Plan und »Klarschiff« das letzte rote Kästchen des Tages. Die Küche ist dann bereits aufgeräumt, aber ich stelle mir vor dem Schlafengehen noch das Frühstücksgeschirr bereit. Suche meine Garderobe für den nächsten Tag heraus. Früher wurde ich zuweilen ziemlich hektisch, wenn ich morgens kein passables Outfit für ein wichtiges Interview oder einen Empfang fand. Morgen früh muss ich nur noch greifen, was da auf dem Stuhl liegt, und auch die Schuhe werden blitzblank geputzt sein. Ich habe das »Klarschiff machen« vom Segeln übernommen. Bevor du in See stichst, muss alles an seinem Platz sein. Weil es dir sonst im Seegang durch die Kajüte fliegt. Eine verhedderte Leine kann lebensgefährlich sein. Und wenn die Maschine im Sturm verreckt, solltest du nicht erst lange nach dem Schraubenschlüssel suchen müssen …
In meinem Kleiderschrank finde ich inzwischen auf Anhieb Sachen, in denen ich mich wohlfühle. Es hängt nicht mehr viel da, vier blaue Müllsäcke habe ich zu Oxfam gebracht – darunter das rote Armani -Sakko und das neongelbe Hemd. Aber was da jetzt noch hängt, das
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