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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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aus Zagreb unterwegs, mit kroatischem Kennzeichen. Das war unsagbar leichtsinnig und dumm – und es hätte leicht schiefgehen können. Damals war ich aber eher empört als ängstlich, als sie mich mit vorgehaltenen Waffen aus dem Auto zwangen und in ihre Baracke zum Verhör schleppten. Und mein Ärger wuchs, als sie meine Notizbücher durchwühlten – gefüllt mit den kroatischen Namen meiner Gesprächspartner, die ich in Zagreb interviewt hatte. Ich fühlte mich unverwundbar durch meinen Journalistenstatus. Ich war Deutscher, hatte mit ihrem Krieg nichts zu tun und war kurz davor, zurückzubrüllen, dass ich sofort den deutschen Botschafter sprechen wolle. Dann zerrten sie mich unter wildem Geschrei an die Wand und legten mit ihren Kalaschnikows auf mich an. Ich sah in die schwarzen Mündungen der Gewehre und ich sah die Augen dahinter – kalte, unbeteiligte Augen von Männern,
die sich lange aus meiner Welt entfernt hatten, in der man nicht einfach einen Menschen töten kann. Es würde ihr Gewissen nicht belasten, ob sie einen mehr oder weniger erschossen. Dann drückten sie ab und fünf Gewehre machten klick – und mir schossen die Tränen in die Augen. Ich wollte nicht weinen, nicht vor diesen Männern – aber ich konnte es nicht verhindern. Dafür habe ich sie am meisten gehasst und ich wäre in diesem Moment bedenkenlos bereit gewesen, sie umzubringen – wäre ich dazu in der Lage gewesen. Sie lachten, machten Scherze, die ich nicht verstand, prügelten mich zu meinem Auto – einer sagte zum Abschied: »Don’t come back!« Ich hatte es nicht vor.
    Im Garten des Klosters von Mostar sprach ich mit einem jungen Mönch und begab mich dann zum Essen in die Abtei, während mein Interviewpartner noch einen Augenblick die frische Luft genießen wollte. Ich hatte gerade die Tür erreicht, als ich ein Pfeifen hörte und mich der Luftdruck einer Granate zu Boden warf. Dort, wo ich mich fünf Minuten zuvor mit dem jungen Mönch unterhalten hatte, klaffte ein rauchender Trichter im Boden. Ein Erdloch von circa drei Meter Durchmesser. Kein Blut, keine Knochen, keine Leichenteile – nichts. Nur ein Loch. Als hätte dieser Mensch nie existiert. Zurück im Hotel in Zagreb erfuhr ich vom Tod des Korrespondenten von der Süddeutschen Zeitung, Egon Scotland. Ich habe ihn nie persönlich getroffen, aber es nahm einen jedes Mal mit, wenn ein Kollege ums Leben kam, weil es uns vor Augen führte, was wir nicht wahrhaben wollten und worüber wir selten sprachen: das eigene Risiko. Wir redeten uns immer ein, relativ sicher zu sein, wenn wir uns an
bestimmte Regeln hielten. Egon Scotland war mit einem Kollegen in der Dunkelheit im Kriegsgebiet unterwegs und wurde von der Kugel eines Scharfschützen getroffen. Das sei unglaublich leichtsinnig gewesen – sagten die Kollegen – und dass er noch leben könnte, hätte er sich besser vorgesehen. Ich habe nichts von meinem Erlebnis mit dem kroatischen Mietwagen in der Krajina erzählt.
    In den zehn Jahren, in denen ich als Kriegsberichterstatter gearbeitet habe, habe ich viele schreckliche Dinge gesehen. Zerstückelte Leichen in Ruanda, Operationen ohne Narkose, die rot geweinten Augen der Mütter und Witwen. Und immer wieder diese kalten, leeren Mörderaugen hinter der Mündung einer Waffe. 16-Jährige, die noch nie eine Schulbank gedrückt, aber bereits unzählige Menschen getötet hatten. So verroht, gewissen- und mitleidlos, dass sie einem beinah schon wieder leidtun konnten. Doch Angst habe ich selten gehabt, weil ich mich – so paradox das scheint – in der Beobachterrolle sicher fühlte. Aber ich habe sehr oft grenzenlose Wut darüber empfunden, was Menschen einander antun. Ich habe es für wichtig gehalten, über den Krieg zu berichten – für bedeutsam, dass Journalisten dabei waren und Zeugnis ablegten und den unschuldigen Opfern eine Stimme gaben. Es hat mich nicht kalt gelassen, was ich gesehen und gehört und erlebt habe, vieles ist mir nahegegangen – aber die Aufgabe, die ich glaubte, erfüllen zu müssen, half mir, es von mir fernzuhalten, Distanz zu schaffen.
    In Sarajevo hatten wir – eine Gruppe Journalisten – Suppe auf dem Campingkocher zubereitet. Auf dem Fußboden in einem ehemaligen Büro des bosnischen
Fernsehzentrums drängten wir uns um die Gasflamme. Draußen waren es 15 Grad minus und drinnen nur wenig über dem Gefrierpunkt. Zu Titos Zeiten hatte der Staatsrundfunk aus dem hässlichen Betonklotz gesendet – jetzt hatten sich Zeitungsreporter,

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